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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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davon, sie reißen sie mir aus den Händen«, und die Kasse klingelte. Lächelnd kam er zurück, schnitt Rhomben ab, reichte sie ihr, und aus dem Laden kam Stimmengemurmel, die Klingel und die Stimme der Reiterin, die das Auf Wiedersehen fast sang. Das Blechtor rappelte, und sie hörte sie Stimme der Kleinen, die in wilder Begeisterung »Zucker« schrie,
    »Zucker«. Sie warf den Pinsel hin und lief in den Vorraum. Mehlsäcke standen im Halbdunkel, eine Sackkarre, Kartons. Sie schnappte sich das kleine Mädchen, küßte es und schob ihm Marzipan in den Mund, den sie in der Tasche trug. Wilma aber löste sich von ihr, lief auf den Bäcker zu und schrie, was sie noch nie getan hatte: »Papa«, und der Bäcker nahm Wilma auf den Arm, küßte sie und trug sie durch die Backstube rund.
    Vorne an der Tür das blasse, hübsche, todernste Gesicht, das nur zögernd anfing zu lächeln: Gesicht des lachenden Gefreiten, lachenden Unteroffiziers, lachenden Feldwebels. »Warum weinst du denn?« sagte der Bäcker, der von hinten herantrat, die Hände voller Gebäck.
    »Warum ich weine«, sagte sie, »verstehst du das nicht?« Er nickte demütig,
    ging auf den Jungen zu, nahm ihn an der Hand und zog ihn näher. »Jetzt wird alles anders«, sagte der Bäcker. »Vielleicht«, sagte sie.

17

    Die Tür der Badeanstalt war verschlossen, und auf der schwarzen Schiefertafel war der Wärmegrad des Wassers noch eingetragen: 15 0 stand dort. Nella klopfte, aber drinnen rührte sich nichts, obwohl sie Männer miteinander sprechen hörte. Sie ging um die Kabinenreihe herum, stieg über den Spriegelzaun und

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    blieb im Schatten der letzten Kabine stehen. Der Bademeister saß vorne in seiner Glasveranda und beobachtete die Männer, die Holzroste aus den Brauseräumen reparierten. Nägel wurden aus quitschnassem Holz gezogen, und frisch gehobelte Latten lagen auf der Zementstufe, die zur Veranda führte. Der Wärter stapelte seine Vorräte in einen Koffer: Hautcremedosen, Flaschen mit Sonnenöl, Gummitiere und bunte Wasserbälle, Schwimmkap Ȭ pen, die er sorgfältig zusammenfaltete und mit Seidenpapier umwickelte. Neben ihm lagen die Korkgürtel aufgeschichtet. Er hatte das Gesicht eines gealterten Turnlehrers, äffische Melancholie im Blick: Auch seine langsamen, zögernden Bewegungen glichen denen eines Affen, der weiß, daß er Sinnloses tut. Ein kleiner Stapel von Hautcremedosen entfiel seinen Händen, die Schachteln rollten auseinander, und der Bademeister bückte sich zögernd. Seine Glatze schwebte über dem Tischrand, verschwand für Augenblicke, bis er sich schwer atmend wieder aufrichtete, die Dosen in der Hand.
    Die Männer zogen frische Latten an der Stelle der alten ein. Bläulich schimmernde Schrauben wurden eingedreht, und der Geruch fauligen Wassers stieg von den alten auf. Das Wasser war grün, die Sonne schien, und Nella trat aus dem Schatten der Kabine ins Licht und sah, daß der Bademeister erschrak. Dann lächelte er, öffnete das Fenster und erwartete sie. Noch bevor sie etwas sagen konnte, schüttelte er den Kopf und sagte: »Das Wasser ist zu kalt, wirklich.« »Wieviel Grad hat es denn?«
    »Weiß nicht«, sagte er, »hab ȇ s nicht mehr gemessen. Es kommt niemand mehr.«
    »Ich möchte es aber versuchen«, sagte Nella, »messen Sie doch bitte mal.« Er zögerte, aber sie drehte ihr Lächeln auf, und der Bademeister nahm sofort die Arme von der Fensterbank und fummelte in seiner Schublade herum, bis er das Thermometer gefunden hatte. Die beiden Männer, die die Roste reparierten, sahen kurz auf, bückten sich wieder und kratzten mit ihrem Ste Ȭ cheisen dunklen Schlamm aus den Rillen: glitschige Fäulnis, Schweiß, Dreck, Wasser, Sedimente sommerlicher Badefreuden.
    Nella ging mit dem Bademeister zum Bassin. Der Wasserspiegel hatte sich gesenkt. Eine grüne Spur lief oben an der Betonmauer entlang.
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    Der Bademeister ging auf das Einmeterbrett, warf das Thermometer, das an
    einer Schnur befestigt war, ins Wasser. Er wandte sich Nella zu und lächelte nachsichtig.
    »Auch einen Badeanzug müßte ich haben«, sagte Nella, »und ein Tuch.«
    Er nickte, wandte sich wieder nach vorne und blickte auf das langsam kreisende Thermometer. Turnlehrerschultern hatte er, Turnlehrermuskeln und einen schmalen Nacken. Drüben auf der Terrasse des Cafes saßen Leute. Weiße Kaffeekannen zwischen grünen Zweigen, und der Kellner schleppte Kuchen: weiße Schlagsahneschicht auf dem hellen Gelb des Gebackenen. Ein kleines Mädchen

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