Haus Ohne Hüter
Rot der Tennisplätze, die weißen Kleider der Spieler, manchmal ein Lachen oder die Stimme eines Schiedsrichters von dem weißen Türmchen her. Er ging nicht oft hierher, weil Albert Angst hatte, wenn er sich weit von zu Hause entfernte, und er beobachtete Albert, der ein bestimmtes Ziel zu haben schien, beunruhigt. Solange sie im Hohlweg waren, war es still gewesen, aber jetzt, unten vor dem Tor der Kasematte, hörten sie den Lärm spielender Kinder vom Dach des Forts her, und eine Mutter rief: » Geh nicht zu nah ran.« Neben dem großen, dunkel gestrichenen Blechtor führen die sauber auszementierten Stufen nach oben. Dort war der Springbrunnen und der Rosengarten, und die beiden Plateaus waren dort, wo die Lindenbäume standen, und von der Umfassungsmauer des Plateaus aus konnte man den Rhein sehen. Martin lief die Stufen hinauf, aber Albert war am Tor stehengeblieben und rief ihn zurück.
Martin sah Bolda an, die plötzlich sagte: »Ich geh ȇ doch lieber ins Auto zurück,
willst du Pilze kaufen?«
»Nein«, sagte Albert, »ich will Martin nur zeigen, wo sein Vater einmal drei Tage lang gefangen gewesen ist.« »Hier«, sagte Bolda, »hier war es?«
Albert nickte, Bolda schien zu frösteln, und sie ging, ohne etwas zu sagen, den asphaltierten Weg zurück.
Albert trommelte gegen das Blechtor, und Martin las das gelbe Schild mit schwarzen Buchstaben: »Georges Bailaumain, Champignonzucht«.
»Hier«, sagte Albert, »ist Absalom Billig ermordet worden, der Mann, der das
Porträt deines Vaters gemalt hat.« Martin hatte Angst. Dumpf roch es aus dem Innern der Käse Ȭ
matte: nach Pferdedung, nach Keller, nach Lichtlosigkeit, und endlich ging das Tor auf; ein Mädchen mit schmutzigen Händen erschien, sie hatte einen Strohhalm im Mund, und als sie Albert sah, sagte sie enttäuscht: »Ach, ich dachte, der Mann mit dem Dung wäre gekommen.«
Mord geschah nur im Film, in den Heften von Phantom und in der Bibel:
Kain erschlug Abel, David tötete Goliath. Martin hatte Angst, Albert ins Innere zu folgen, aber Albert zog ihn an der Hand hinter sich her. Halbdunkel herrschte drinnen; aus Schächten, die mit Glasziegel gedeckt waren, kam gleichmäßige Dämmerung, nackte, schwache Glühbirnen, die durch Pappschirme abgeblendet waren, beleuchteten hoch aufgeschichtete Beete, die schräg abgeflacht waren und deren Schichtung zu erkennen war wie die eines Kuchens. Erde war unten, mit Mist durchmengt, dann kam eine Schicht reinen Pferdedungs, grünlichgelb, dann kam wieder Erde, dunkler, fast schwarz, und aus manchen Beeten schauten die Köpfe kränklich weißer Champignons heraus, mit Erdkrumen bedeckte Köpfe. Die Beete sahen fast wie Pulte aus, geheimnisvolle Schränke, aus denen häßliche Tasten herauswuchsen, wie die Knöpfe von Orgelregistern, Knöpfe, die dunklen Zwecken zu dienen schienen. Mord war hier geschehen, sein Vater war hier unten geschlagen, getreten worden, auch Albert. Die Nazis hatten es getan: Wort, das keine klare Vorstellung hervorrief, Wort, das von Albert anders ausgelegt wurde als in der Schule. In der Schule wurde unmoralisch für schrecklich gehalten, aber er selbst fand Brielachs Mutter nicht so schrecklich, nur das Wort, das sie gesagt hatte. Albert fand die Nazis schrecklich, aber in der Schule wurden sie nicht so schlimm dargestellt; andere Schrecken überdeckten die der nicht so schlimmen Nazis: die Russen.
Das Mädchen mit dem Strohhalm im Mund war zurückgetreten, und aus
einer Holzkabine kam ein Mann auf Albert zu. Der Mann hatte einen schmutzigen, grauen Lageristenkittel an, eine Ballonmütze auf dem Kopf, und aus seinem runden, freundlichen Gesicht kräuselte grauer Zigarettenqualm weg. »Wenn Sie mir Dung besorgen könnten«, sagte der Mann Ȭ »wenn Sie Ȭ ist kaum zu kriegen, Pferdedung.«
»Nein«, sagte Albert, »ich will hier nur mal reinschauen, ich bin hier mal
gefangen gewesen mit dem Vater dieses Jungen zusammen Ȭ und einer unserer
Der Mann wich zurück, die Zigarette in seinem Mund zitterte, und er schob
mit einem kleinen Ruck seine Mütze weiter in die Stirn, rief leise: »Mon dieu.«
Albert blickte links und rechts in die Gänge. Feuchtes, dunkles Mauerwerk
mit schwarzen Höhlungen, und überall die pultförmigen Beete, Orgelpulte aus denen kränkliche Tasten herauswuchsen. Leichter Dunst kräuselte wie Qualm von ihnen ab, und es schien Martin, als führten von den Tasten aus Drähte in die Erde, die aus unbestimmten Tiefen Mord heraufbeschwören
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