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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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unmoralisch dachte, so öffnete sich eine Tür, und in dem Raum, der sichtbar wurde, sah er die unmoralischen und moralischen Frauen , alle, die er kannte, nebeneinander aufgereiht. Am Anfang stand Brielachs Mutter, dort, wo unmoralisch anfing, und am Ende stand Frau Borussiak, dort wo moralisch in höchster Qualität vertreten war, gleich neben der Mutter von Poske, neben dieser wieder Frau Niggemeyer Ȭ und irgendwo in der Mitte stand seine Mutter, deren Platz in diesem Tempel nicht feststand. Die Mutter wechselte den Platz, sie sprang zwischen Frau Borussiak und Frau Brielach hin und her wie gewisse Gestalten in den Trickfilmen. Er blickte auf die Sakristeitür und prüfte dabei, ob das Wort »väterlich«für Albert paßte, aber es paßte nicht. Väterlich war der Lehrer, der Tischlermeister. Glum war fast väterlich. Bruder paßte nicht, Onkel kam der Vorstellung am nächsten, paßte aber auch nicht genau.
    Es war bald fünf Uhr, und ihm war übel vor Hunger. Um sechs wollten sie
    nach Bietenhahn fahren, und er wußte, daß Will jetzt schon die Angeln herauslegte, sie sorgfältig prüfte, daß er die Köder bereithielt und die Netze hinter dem improvisierten Fußballtor im Garten flickte. Mit Drahtschlaufen nagelte er die Netze fest, und dann lief er freudestrahlend ins Dorf, um die Jungen zum Fußballspiel einzuladen, so konnten sie fünf gegen fünf spielen. Albert kam mit Bolda aus der Sakristei zurück. Martin rückte nach hinten, gab den Platz neben Albert für Bolda frei, und als sie sich setzte, griff sie nach ihm, packte seinen Nacken, strich
    ihm über die Wangen, und er spürte ihre kühle, feuchte Hand, die nach
    Seifenlauge roch: eine schmale, vom Putzwasser rötlich aufgeweichte Hand mit weißlichen Dellen in den Fingerkuppen.
    »Na, siehst du«, sagte Bolda, »da ist er ja wieder. Du mußt dich nicht aufregen, höchstens ihm ein paar auf den Hintern geben. Das tut gut.« Sie lachte, aber Albert schüttelte den Kopf und sagte: »Es wird alles anders werden.« »Was?«, fragte Martin schüchtern.
    »Du wirst nach Bietenhahn ziehen, dort zur Schule gehen, später in Brernich aufs Gymnasium. Ich werde auch dort wohnen.« Bolda rutsche aufgeregt hin und her. »Wozu«, sagte sie, »wozu? Ich graule mich, wenn ich mir das Haus ohne den Jungen vorstelle Ȭ und ohne dich. Laß mich doch, laß mich doch mitziehen Ȭ ich versteh ȇ was von Vieh.«
    Albert schwieg. Er kreuzte vorsichtig die Allee, drehte in die Hölderlingstraße, fuhr an der Kirche vorbei und bog in die Novalisstraße. Dann fuhr er um den Park herum, überquerte die Ringstraße, fuhr zwischen abgeernteten Feldern durch eine Barackensiedlung auf das Wäldchen zu. Bolda sah ihn von der Seite an. Albert stoppte, als er den Rand des kleinen Wäldchens erreicht hatte.
    »Wartet hier«, sagte Albert, »bleibt drinnen.« Er stieg aus, ging ein Stück den
    Wald hinab, der schräg in die Erde hinein auf das Tor der Kasematte zuführte, bestieg dann die Rasenböschung und verschwand im Gebüsch. Martin sah Alberts Kopf über den kleinen Sträuchern sich hinwegbewegen auf den Platz zu, wo rings um die große Eiche herum ein Kreis ausgerodet war. Hinten blieb Albert an der Eiche stehen, löste sich von ihr, ging auf die Kasematte zu und kam unten, wo die Böschung steiler war, wieder heruntergeklettert.
    »Geh nicht weg«, sagte Bolda leise, ohne sich umzuwenden, »oder nimm mich mit«, und Martin erschrak, weil Bolda fast weinte. »Es wird für alle schlimm sein, auch für die Oma, tu ihr ȇ s nicht an.«
    Martin antwortete nicht. Er beobachtete Albert, der schräg aus der Erde heraus wieder aufs Auto zukam. »Komm«, sagte Albert zu Martin, »steig aus, ich muß dir was zeigen. Du kannst sitzen bleiben, wenn du willst«, sagte er zu Bolda. Aber Bolda stieg mit aus, und sie gingen nebeneinander 235
    den asphaltierten Weg hinunter, der auf die Kasematte zuführte. Martin fühlte
    sich nicht wohl. Hier war er ein paarmal mit Brielach und den anderen gewesen, und in dem Gebüsch, wo Albert eben verschwunden war, hatten Grebhake und Wolters Unschamhaftes getan; es war von zu Hause eine halbe Stunde weit entfernt, und hier konnte man herrlich spielen in dem ausge Ȭ trockneten Wassergraben, der ums Fort herumlief; man konnte die Kamine und die Wimpel der Schiffe auf dem Rhein sehen, aber nicht den Rhein selbst, nur wenn man aufs Dach des Forts stieg, sah man den Rhein, die zerbombte Brücke, deren Rampe ausgezackt und wild über den Fluß ragte, vorne das

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