Haus Ohne Hüter
sprang über das Treppengeländer, und der Schatten seines Kopfes fiel auf die Füllung der Kellertür, und er setzte den Schlüssel an der Schnur wieder in Bewegung und sah den grauen, schmalen Schatten der Schnur sich bewegen: Leise tickte es im Lichtauto Ȭ maten, das Licht ging aus, und er ließ zweimal, dreimal Ȭ weil es so schön war
das schmale, schwarze, so schnelle Tier, seinen Schatten, aus dem hellgrünen Licht hinter sich herausspringen, ließ seinen Kopf immer auf
oben Boldas Schritte hörte: Sie schlurfte durch die Diele, im Badezimmer
rauschte Wasser, ihm fiel ein, daß jetzt die Zeit war, da Bolda herunterkommen und sich in der Küche Bouillon kochen würde.
Wichtig war nur, so leise ins Haus zu kommen, daß die Großmutter ihn nicht hörte, und er führte vorsichtig den Hausschlüssel ein, drehte ihn ebenso vorsichtig, nahm dann auch die Linke hinzu, um mit einem Ruck die Tür zu öffnen, machte einen großen Schritt, um die knarrende Stelle im Parkettboden zu meiden, und stand endlich auf dem dicken, rostfarbenen Läufer, sich vorbeugend, um die Tür ganz vorsichtig wieder ins Schloß zu drücken.
Er hielt den Atem an und lauschte gespannt auf die Geräusche aus dem Zimmer der Großmutter: Sie hatte nichts gehört, ging immer noch auf und ab, immer noch klirrten die Gläser in der Vitrine, und ihr Murmeln klang wie der wilde Monolog einer Gefangenen. Noch war die Stunde des Blut im Urin nicht gekommen, schreckliche, periodisch wiederkehrende Gewohnheit, wo sie das gelbe Zeug triumphierend durch die Diele trug, von Zimmer zu Zimmer, rücksichtslos es vertropfend, so wie sie rücksichtslos dicke Tränen vertropfte, und Mutter sagte dann: »Ist ja nicht so schlimm, Mutter, ich rufe Hurweber an.« Und Onkel Albert sagte: »Ist ja nicht so schlimm, Oma, wir rufen Hurweber an.« Und Bolda sagte: »Ist ja nicht so schlimm, liebe Betty, ruf doch den Arzt an und stell dich nicht so an.« Und Glum, der morgens, wenn er aus der Kirche oder von der Arbeit kam, mit geschwenktem Uringlas empfangen wurde, Glum sagte: »Ist ja nicht so schlimm, gute Oma, der Doktor wird kommen.«
Und er selbst, er war verpflichtet zu sagen: »Ist ja nicht so schlimm, liebe Großmutter, wir lassen den Arzt kommen.« Alle drei Monate wurde für eine Woche dieses Spiel gespielt, und es war schon lange her, daß es zuletzt aufgeführt worden war, lange genug, daß er ahnte, es sei fällig, an diesem Abend, zu dieser Stunde.
Er hielt noch den Atem an und war glücklich, als die Großmutter ihr Murmeln, ihren Rundgang fortsetzte, als das gläserne Konzert der Vitrine weiterhin ertönte.
Er schlich sich in die Küche, nahm im Dunkeln den Zettel weg, der Ȭ von der
Mutter geschrieben Ȭ immer auf der Tischkante lag
zwischen den bläulichen Mustern der Wachstuchdecke. Er war froh, als er Boldas Schritte hörte. Bolda bedeutete nicht die Gefahr, daß die Großmutter herausstürzen und »Blut im Urin« schreien würde. Bolda und die Großmutter kannten sich schon zu lange, und Bolda allein als Publikum war reizlos für die Großmutter.
Bolda kam in ihren Latschen die Treppe herunter, knipste Licht an in der Diele
sie war die einzige, die sich nicht vor der Großmutter fürchtete Ȭ , und als sie in die Küche kam, auch dort Licht anknipste und ihn entdeckte, legte er rasch den Finger auf den Mund, um sie zu warnen. So kam nur ein rasches Glucksen aus Boldas Mund, sie trat auf ihn zu, kraulte ihn im Nacken und murmelte, das R rollend, in ihrem breiten Dialekt: »Guter Junge, armer Junge, du hast sicher Hunger.« »Ja«, sagte er leise. »Magst du Bouillon?«
»Ja«, sagte er, und er bewunderte Boldas langes, pechschwarzes, ganz glattes
Haar, betrachtete ihr weißes, zerknittertes Gesicht, hörte das Puffen der Gasflammen und blieb neben Bolda stehen, die drei, vier Bouillonwürfel aus der Dose nahm. »Und ein Brötchen mit Butter, was, ganz frisch?« »O ja«, sagte er.
Sie nahm ihm den Schulranzen ab, zog ihm die Mütze ab und steckte den
Schlüssel wieder hinters Hemd an seine Brust zurück: kühl rutschte er wieder bis in die Nähe des Nabels, ruhte dort, ein wenig scheuernd. Er nahm Mutters Zettel aus der Tasche und las ihn: »Ich mußte wieder weg.« »Mußte« war viermal unterstrichen. Bolda nahm ihm den Zettel aus der Hand, studierte ihn stirnrunzelnd und warf ihn in den Abfalleimer, der unter dem Spülbecken stand.
Langsam verbreitete sich der Geruch der Bouillon, ein Geruch, den Onkel
Albert »ordinär«, den Mutter
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