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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Truppenübungsplätzen: Heide, Sand, mit Tarnfarbe bestrichene Baracken, Teergeruch und das Unbestimmte, Unbestimmbare, das Schreckliche, das »in der Luft lag«, in der Luft und in Heinrichs Gesicht, das immer noch blaß, immer noch ernst über ihr lag. Merkwürdig, daß er in Wirklichkeit gar nicht so viel gelacht hatte, auf allen Fotos aber lächelte, so daß er lächelnd in ihrer Erinnerung blieb Ȭ und aus dem großen Tingeltangel hinten kam Tanzmusik Ȭ und weiter entfernt noch marschierte eine Kompanie Soldaten: Ȭ am Rhein marschieren Ȭ schieren Ȭ schieren Ȭ , und später sagte Heinrich, was auch Gert immer gesagt hatte: »Scheiße«. Und abends die zweite Umarmung in dem Zimmer, wo das große, schöne und bunte Bild hing: die liebliche Muttergottes, auf einer Wolke in den Himmel schwebend, mit dem hübschen Jesuskind auf dem Arm, rechts Petrus, so wie Petrus zu sein hatte: bärtig und freundlich, ernst und demütig, die Papstmütze neben sich Ȭ und das Unbestimmte, das Unbeschreibliche, daß eben jeder wußte, daß es Petrus war. Niedliche Engelchen unten, mit aufgestützten Armen, mit Flügeln, wie Fledermäuse sie haben, und so dicke, rundliche Arme Ȭ und später hatte sie sich dasselbe Bild gekauft, nur kleiner. »Raffael pinx« stand darunter, aber das Bild war verweht, zu Staub geworden in der Nacht, als sie unten im Keller auf dem Stiefelschmierefleck das Kind gebar, das unter dem Muttergottesbild gezeugt worden war. An Heinrichs Gesicht vorbei hatte sie das Bild gesehen Ȭ ernstes Unteroffiziersgesicht, Gesicht, das längst um das Kommen der Lust nicht mehr bangte; sehr weit hinten wurde über der Heide der Zapfenstreich geblasen: Urlaub bis zum Wecken Ȭ und das, was »in der Luft« lag, auch in Heinrichs Gesicht, der voller Haß auf die Panzer horchte, die während der Nacht vorüber rollten. Zur Mumie zusammengeschmort zwischen Saporoshe und Dnjepropetrowsk: siegreicher Panzer, siegreicher Verbrennungsofen für Herrn Bamberger — kein Soldbuch, kein Trauring, kein Geld und nicht die Uhr, in die die fromme Mutter hatte hineingravieren lassen: »Zur Erinnerung an meine erste hl. Kommunion«. Auf Fotografien lachender Gefreiter, lachender Unteroffizier, lachender Feldwebel Ȭ aber in Wirklichkeit so ernst. Der Katafalk, der Tumba hieß, Kerzen in der kleinen sächsischen Diasporakapelle: das trocken säuerliche Gesicht der
    Schwiegermutter: »Halt das Andenken meines Jungen in Ehren!«
    Sie als einundzwanzigjährige Witwe, der Erich ein Jahr später Asthma, Herz und Kakao bot: ein ängstlicher, gutmütiger kleiner Nazi mit verkrampften Bronchien: Kampfer, Essigflasche, Leinenlappen Ȭ von Hemden abgerissen, und das geduldige dumpfe Stöhnen in der Nacht. Es half nichts, sie mußte in den Spiegel sehen, der neben dem Bild von Heinrich hing: Noch waren die Zähne weiß und sahen fest aus: sie faßte sie an; unheimliche Beweglichkeit. Die Lippen waren noch voll, nicht geschmälert und säuerlich verdünnt wie Bernas Lippen; sie war noch hübsch, die zierliche Frau des auf Fotos lachenden Feldwebels Ȭ eine Puppe mit schlankem und straffem Hals, die über jüngere Schaffnerinnen triumphierte: zwölfhundert Mark für dreizehn Zähne Ȭ und das spärlicher gewordene, immer mehr zurückweichende Zahnfleisch war nicht wiederzugewinnen. Schon war sie entschlossen, den Bäcker zu erhören und Leo jungen Schaffnerinnen zu überlassen. Sein Rasiergesicht mit eckiger Stirn, rotgebürstete Hände und polierte Nägel und in den Augen die Zuhältersicherheit. Noch ein wenig warten lassen, noch ein wenig zappeln lassen, das melancholisch gedunsene Gesicht: Vielleicht würde ein Zimmer, vielleicht würde Geld dabei herauskommen und eine Lehrstelle für den Jungen, wenn er in drei Jahren aus der Schule kam.
    Sie wusch sorgfältig ihre Haut mit Gesichtswasser ab, geheimnisvoller Dreck
    blieb auf dem Wattebausch. Sie puderte sich leicht, zog die Lippen nach und prüfte das Haar, das mürbe zu werden begann. Daß sie schöne Hände hatte, hatten bisher nur zwei von den Männern zu würdigen gewußt: Heinrich und der Bäcker. Selbst Gert hatte davon nichts gewußt, obwohl er sich oft stundenlang von ihr das Gesicht streicheln ließ wie ein Kind. Des Bäckers Leidenschaft entzündete sich schon beim Anblick ihrer Hände Ȭ hymnisch verliebter Narr, der in den unzähligen Graus seiner Werkstatt Torheit über Torheit aussprach. Sie erschrak, als der Junge in die Tür trat. Er hatte das Gesicht seines Vaters, des

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