Haus Ohne Hüter
Stadt, Kirchtürme, an denen Regenwolken vorbeizogen, und das ängstliche, verzweifelte Warten auf die vielgepriesene Lust, die nicht kam: Enttäuschung auch in dem nassen, von grünen Zweigen umrankten, ernsten Gesicht von Heinrich; abgeworfene Panzerjacke, an der die rosa Paspelierung schmutzig geworden war.
Heinrich, zusammengeschmort zwischen Saporoshe und Dnjepropetrowsk, und Willi, ernster, nie lachender, nie sündigender Plakatkleber, der im Schwarzen Meer ertrank zwischen Odessa und Sewastopol, schwimmend im Schwarzen Meer, versunkenes, zernagtes Skelett, auf dem Grunde des Schwarzen Meeres zwischen Algen und Schlick ruhendes Gebein. Bamberger: zusammengeschrumpft im Verbrennungsofen, zu Asche gewor Ȭ den: Asche ohne Goldzähne, und Bamberger hatte so breite, leuchtende Goldzähne gehabt.
Berna lebte noch: Sie hatte Glück gehabt, den Metzger geheiratet, der dieselbe Krankheit hatte, wie Erich sie gehabt hatte. Allen Frauen sollte man raten, kranke Männer zu heiraten, die nicht Soldat werden müssen. Standen Essigflasche, Kampferpulver, Bronchialtees auch immer auf Bernas Nachttisch bereit, lagen Leinenlappen herum und rasselte der Atem des Metzgers so heftig, Gemisch aus Leidenschaft und Asthma? Berna hatte es verstanden, nicht dick zu werden: Dort stand sie hinter der Theke, schnitt kaltblütig und sicher eine Kalbslende in Scheiben. Bernas rote Wangen waren ein wenig bläulich durchzogen, doch ihre festen, kleinen Hände bedienten sich geschickt des dünnen Messers: sanftes Braun der Leberwurst und das zarte Rosa saftiger Schinken. Berna hatte ihr früher, als es noch knapp war, manchmal ein Stück Rindertalg geschenkt von der Größe einer Zigarettenschachtel, ein winziges, hartes Fettpaket, zu der Zeit, als Karl regierte und der Weg zum Schwarzmarkt verboten war. Aber seit langem grüßte Berna nicht mehr, und Willis Mutter ging immer stumm und blind an ihr vorüber, und wenn ihre Schwiegermutter kam, hörte sie es
ren nicht aussprachen: »Dein Lebenswandel Ȭ alles hat seine Grenzen.«
Leo war schon weg. Sie war erleichtert, seine Mütze und sein Halfter nicht an der Garderobe zu sehen. Frau Borussiak stand in der Tür und hielt lächelnd den Finger auf den Mund: Die Kleine schlief auf Borussiaks Sofa. Wenn sie schlief, sah sie so hübsch aus: braunes, golden schimmerndes Haar, und der sonst so weinerliche Mund im Schlaf lächelnd. Das Honigglas stand auf Frau Borussiaks Tisch, der Löffel lag daneben. Nur Leos merkwürdige eckige Stirn hatte die Kleine. Frau Borussiak war freundlich und gut, nur sehr selten warf sie leise hin, daß es besser sei, Ordnung ins Leben zu bringen. »Einen guten Mann müßten Sie finden, Sie hätten ihn halten müssen« Ȭ und sie meinte Karl, aber sie selbst hatte Karl am wenigsten gemocht: seine heisere, pathetische Stimme, sein »Neues Leben« Ȭ Geschwätz, der ängstlich nach außen gehütete Schein, Pedanterie und Frömmigkeit, das alles widersprach, so schien ihr, der dunklen Gier seiner Hände, den leise geflüsterten Zärtlichkeiten, in denen Widerwärtiges mitschwang: etwas, das ihr Angst einflößte. Heuchlerstimme, die jetzt in der Kirche vorbetete: An Heinrichs Erstkommuniontag hatte sie die »Neue Ȭ Leben« Ȭ Stimme oben von der Orgelempore herab gehört. Frau Borussiak gab ihr vorsichtig das in eine Decke gewickelte Kind. Die Nachbarin seufzte dabei, und plötzlich gab sie sich einen Ruck und sagte: »Machen Sie doch Schluß mit diesem Kerl.« Ihr hübsches, rosiges Gesicht füllte sich mit Mut, wurde dunkler, fast bräunlich vor Mut: »Es ist doch keine Liebe dabei« Ȭ aber weiter sprach sie nicht. Sie wurde wieder ängstlich und schüchtern, und sie flüsterte: »Nehmen Sie ȇ s mir nicht übel — aber die Kinder...« Sie nahm ihr nichts übel, sie dankte, lächelte, trug das Kind in ihr Zimmer hinunter.
Lachender Panzerfeldwebel, der zwischen Tür und Spiegel hing, zwölf Jahre jünger als sie. Die Vorstellung, mit ihm geschlafen zu haben, löste die merkwürdige Vorstellung von etwas Ungehörigem aus: als hätte sie ein Kind verführt. So wie er auf dem Bild aussah, so alt war der Gehilfe des Bäckers gewesen, ein Bürschchen, schien ihr, ein Schnösel, mit dem etwas zu haben sie sich geschämt hätte. Fern war er und tot, und die Urlaube waren zu kurz gewesen: lang genug, um das Kind zu zeugen, zu kurz aber, um die Erinnerung ehelicher Regelmäßigkeit zu hinterlas Ȭ
sen. Briefe, die Nummern von Urlauberzügen, hastige Umarmungen am Rande von
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