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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Bett schlief Ȭ das Kind wurde manchmal mitten in der Nacht wach, erschrak dann, wenn fremde Gesichter sich über sein Bett beugten, und es kam vor, daß Nellas Mutter spät noch eine Szene machte. Wenn Blut im Urin nicht fällig war, ersann sie anderes, das aus der Reihe ihrer Gewohnheiten fiel. Sie konnte wochenlang ruhig in ihrem Zimmer hocken mit ihrer Flasche Rotwein, dem Teller voll Fleischbroten und ihren knallroten Tomahawk Ȭ Packungen, in alten Briefen wühlen oder den Stand ihres Vermögens prüfen, oder sie
    chern, Lesebüchern aus den Jahren 1896 Ȭ 1900 und der alten Schulbibel, die
    noch Spuren von Kolorierungen zeigte, die sie als zehnjähriges Bauernmädchen angebracht hatte, das blutbefleckte Gewand des ägyptischen Josef, mit einem Karmesinstift vor mehr als fünfzig Jahren wild angemalt Ȭ oder die senffarbenen Löwen, die Daniel verschonten und schlafend um ihn herumlagen.
    Wochenlang war sie ruhig, aber sie konnte plötzlich nach einer Szene
    verlangen. Nachts um ein Uhr hatte sie plötzlich Lust, sich einen Salat zu machen, und dann kam sie, mit dem schwarzen, blaugeblümten Morgenrock bekleidet, in Nellas Zimmer, die leere Essigflasche in der Hand, und brüllte in der Tür: »Sauerei Ȭ die Flasche ist wieder leer, und ich muß, ich muß einen Salat haben.« Es war nicht ganz einfach, mitten in der Nacht Essig aufzutreiben, aber Albert hatte für alle Fälle mit der Büffetdame des Bahnhofsrestaurants ein freundschaftliches Abkommen getroffen, und im Notfall konnte er dort selbst die ausgefallensten Sachen bekommen. Wenn Bolda nachts noch herunterkam und Nellas Mutter noch wach war und in der Stimmung, eine Szene zu machen, dann brach sie Streit vom Zaun, brüllte Bolda an: »Du ausgebüchste Nonne Ȭ du zweifache Witwe« und zählte die Untaten von Boldas Vater auf, der offenbar ein Wilderer und Schmuggler gewesen war, aber schon seit fünfundfünfzig Jahren auf dem Friedhof eines winzigen Eifeldorfes ruhte. Wenn sie nicht in Stimmung war, eine Szene zu machen, ließ sie Bolda ungehindert passieren oder fing einen friedlichen Plausch mit ihr an. Genausogut konnte sie plötzlich in Nellas Zimmer kommen und brüllen:
    »Ist die Hurerei wieder im Gange? Dein armer Mann, der in Rußlands Erde schläft.«
    Sie ließ sich dann nur von ihm oder von Glum beruhigen, und es war besser, wenn er im Hause blieb, denn Nella hatte Angst vor ihrer Mutter. So hockte Albert an zwei von sieben Tagen der Woche mit Nellas Besuch zusammen, bewachte den Schlaf des Jungen, hielt sich als eine Art Feuerwehr bereit, um im Notfall Nellas Mutter zu beruhigen.
    Er machte sich nichts daraus, später, wenn alle gingen, als Taxi mißbraucht zu
    werden; er fuhr Nellas Gäste an die Straßenbahnhaltestelle oder, wenn es sehr spät wurde, ans Depot, wo auch während der Nacht stündlich eine Bahn
    daran, lange auszubleiben, denn er hoffte immer, Nella würde im Bett sein,
    wenn er zurückkam. Es war schön, allein durch die Nacht zu fahren, die Straßen waren leer, die Gärten lagen in tiefem Dunkel, und er beobachtete den Zauber, den sein Scheinwerfer beschwor, wilde, harte und sehr schwarze Schatten, und das gelblich Ȭ grüne Gaslicht der Straßenlaternen; eisig kühles Licht, das er liebte und das auch im Sommer den Eindruck großer Kälte hervorrief. Gärten und Parks waren mit diesem grünlich Ȭ gelben Licht überstreut und standen, auch wenn die Bäume blühten, in starrer, kalter Leblosigkeit. Oft fuhr er auch ein paar Kilometer aus der Stadt hinaus, durch schlafende Dörfer bis an die Einfahrt der Autobahn, fuhr dann ein kurzes Stück in sehr hoher Geschwindigkeit und benutzte die nächste Abzweigung, um in die Stadt zurückzukehren, und jedesmal spürte er wieder die tiefe Erregung, wenn ein Mensch im Licht seines Scheinwerfers auftauchte, meistens waren es Huren, die sich genau an die Stelle postiert hatten, wo das Licht der Scheinwerfer hinfiel, wenn die Autofahrer nach den Kurven das Fernlicht einschalteten: einsame, leblose, buntbekleidete Puppen, die nicht einmal lächelten, wenn jemand nahe bei ihnen vorbeikam: helle Beine vor dunklem Hintergrund, von scharfem Licht bestrahlt. Sie erinnerten Albert immer an Gallionsfiguren, es schien, als stünden sie auf dem Bug versunkener Schiffe; immer wieder stach sein Scheinwerfer sie aus dem Dunkel heraus, sobald er das Licht aufdrehte, und er bewunderte die genau richtige Wahl ihres Standortes, aber noch nie hatte er gesehen, daß ein Auto hielt und eins der Mädchen

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