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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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erinnern, denn Karl grüßte nicht. Karl ging jetzt kom Ȭ munizieren, und seit einiger Zeit betete Karl in der Kirche vor; oben von der Orgelempore herab hörte er die Stimme, die von »neuem Leben«, von
    »Nachschlag« und von »Ordnung« gesprochen hatte, und er konnte es nicht
    Mutter »es« weggemacht hatte, Karl wäre sonst sein Vater geworden.
    Jemand, der im Hause wohnte, schrieb immer unten im Hausflur an die Wand mit Bleistift das Wort, das die Mutter zum Bäcker gesagt hatte. Aber niemand wußte genau, wer es war. Das Wort stand manchmal einen ganzen Tag lang da an der Wand, nie länger, dann kam der Tischlermeister, der unten die kleine Werkstatt betrieb, und kratzte das Wort mit einem Nagel aus, und unten auf dem Fliesenboden blieb die weiße Spur abgekratzten Gipses, weißlicher Staub, und an der Wand eine zerkratzte Stelle. Immer wieder schrieb der Unbekannte es hin, und der Tischlermeister kratzte es immer wieder aus; zwanzig abgekratzte Stellen waren schon in der Flurwand. Es war ein stummer Kampf, der auf beiden Seiten mit Hartnäckigkeit geführt wurde, immer stand auf einmal wieder das Wort da, und der Tischlermeister, der nach Kampfer roch, wie Erich gerochen hatte, kam mit seinem vierzölligen Nagel aus der Werkstatt und kratzte das Wort aus. Der Tischlermeister war nett. Besonders nett war er zu Wilma; samstags, wenn der Lehrling die Werkstatt auskehrte, mußte er alle Holzklötze aus dem Dreck heraussuchen, sie abwaschen und sie Wilma heraufbringen, auch besonders lange, besonders lockige Hobelspäne, und der Tischlermeister selbst brachte Wilma Bonbons mit, wenn er die Miete kassierte. War Leo gerade da, wenn der Tischlermeister kam, sagte der Tischlermeister: »Sie krieg ȇ ich noch klein« Ȭ und Leo sagte: »Ich Sie auch.« Mehr sagten sie nicht.
    Erst später Ȭ und er wunderte sich selbst, daß er nicht daran gedacht hatte Ȭ
    fiel ihm ein, daß Leo es sein könnte, der das Wort an die Wand schrieb; es hätte zu Leo gepaßt, und es war ja ein Leo Ȭ Wort. Er beobachtete Leo, wenn er zur Schicht ging oder von der Schicht heimkam: Leo schrieb nichts an die Wand. Allerdings stand an den Tagen, wo er Leo beobachtete, auch das Wort nicht da. Das Wort stand nur da, wenn er Leo nicht hatte beobachten können. Es dauerte lange Ȭ schon war die halbe Wand zerkritzelt und zerkratzt. Eines Tages, als er aus der Schule gekommen war und das Wort unten im Flur entdeckt hatte, blickte er während des Essens auf Leos Bleistift. Leo hatte den Bleistift hinterm Ohr stecken lassen, und an diesem Bleistift war die Spitze platt, rauh, und ein winziger weißer Kranz war um die platte Spitze herum; so sahen Bleistifte aus, mit denen man an die
    Wand schrieb. Leo also war es, der das Wort an die Wand schrieb.
    Auch die Mutter schimpfte über den, der es an die Wand schrieb und sagte:
    »Das brauchen die Kinder nicht gerade zu lesen«, und sie pflegte mit dunklerer Stimme hinzuzufügen: »Was Dreck ist, erfahren sie noch früh genug.«
    Und doch hatte die Mutter selbst es zum Bäcker gesagt, im dunklen, warmen, nach süßlichem Teig riechenden Keller der Bäckerei.
    Und Leo schrieb es weiter an die Wand, der Tischlermeister kratzte es mit dem Nagel aus, und Heinrich fand nicht den Mut, dem Tischlermeister zu sagen, was er herausbekommen hatte. Später würde er es sagen, mit Onkel Albert über Verschiedenes reden.
    Im Dunkeln noch, wenn er abends im Bett lag, konnte er das Bild des Vaters betrachten, das von der Straßenlaterne beleuchtet wurde, leise, ganz leise zitternde Fotografie, die von den Erschütterungen der Autos so schwankte und besonders heftig schwankte, wenn der Omnibus 34 oder ein Lastzug vorbeifuhr.
    Vom Vater existierte nicht mehr viel; das Foto an der Wand und ein Heft, das die Mutter hartnäckig aufbewahrte zwischen Romanheften und Illustrierten, eine verschmutzte, dünne, gelbliche Broschüre: »Was der Autoschlosser bei der Gehilfenprüfung wissen muß.« Zwischen den Blättern der Broschüren, zusammengefaltet, verschlissen, aber noch gut zu erkennen, lag ein Farbendruck, der Christus und die Jünger beim Abendmahl zeigte Ȭ der gleiche Druck, den auch er bekommen hatte und der fast genau die gleiche Beschriftung trug: »Heinrich Brielach empfing das Sakrament der heiligen Kommunion zum ersten Male in der Pfarrkirche St. Anna am Weißen Sonntag 1930.« Nur stand bei ihm »Pfarrkirche St. Paul« und »Weißer Sonntag 1952«.
    Mutters Vater war in Sachsen geblieben. Er schrieb von einer

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