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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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einstieg.
    Wo die Brücke aufhörte, war in die Rampe hinein eine kleine Kneipe gebaut, die die ganze Nacht über offenhielt. Dort trank er ein Glas Bier und einen Schnaps, um seine Heimkehr hinauszuzögern. Die Wirtin kannte ihn schon, denn Nella hatte oft Besuch, und jedesmal brachte er ihre Gäste weg, um nicht mit Nella allein zu sein.
    In dieser Kneipe blieb er oft lange sitzen und dachte an die Dinge, an die er durch Nellas Gäste, ohne es zu wollen, erinnert worden war. An den Tischen saßen meistens ein paar knobelnde Matrosen von den Rheinschiffen, aus dem Radio kamen leise fremde Stimmen, und die kleine, dunkelhaarige Wirtin saß strickend neben dem Ofen. Sie erzählte ihm immer, für wen sie gerade
    sohn, rostbraune Handschuhe für ihre Tochter; aber meistens strickte sie für ihre Enkel hübsche kleine Höschen, für die sie selbst die Muster erfand, und oft fragte sie ihn um Rat, und er hatte ihr manchen Tip gegeben. Zuletzt hatte er ihr den Rat gegeben, in einen hellgelben Rock für ihre vierzehnjährige Enkeltochter dunkelgrüne Flaschen mit verschiedenfarbenen Etiketts hineinzustricken. Er malte ihr mit Buntstiften, die er immer bei sich trug, das Muster auf weißes Einwickelpapier, in das sie den Matrosen kalte Koteletts und Bouletten verpackte. Manchmal, wenn ihm alle die Dinge einfielen, an die er durch Nellas Besucher erinnert worden war, wurde es drei, vier Uhr morgens. Vor dem Krieg war er Korrespondent einer kleinen deutschen Zeitung in London gewesen, aber die Zeitung hatte ihn rausgeschmissen, und er war Ȭ nach Leens Tod Ȭ auf Nellas Drängen hin nach Deutschland zurückgekehrt, und Nellas Vater hatte ihm eine Stellung in seiner Marmeladenfabrik gegeben, damit er untertauchen konnte. Hier hatte er bis zum Ausbruch des Krieges mit Rai zusammen eine kleine statistische Abteilung aufgezogen, und sie hatten ihr Gehalt für Spielereien bezogen, die weniger der Fabrik nützlich waren als ihrer beider Legitimation dienten: Sie konnten jederzeit nachweisen, daß sie eine vernünftige unpolitische Arbeit verrichteten, daß sie in den sogenannten Arbeitsprozeß eingegliedert waren, und in ihrem Arbeitszimmer sah es jederzeit wüst genug aus, um den Eindruck heftiger Beschäftigung zu erwecken. Auf ihren Zeichenbrettern waren Skizzen mit Reißbrettstiften befestigt, Tuben lagen herum und Pinsel, Tuscheflaschen standen geöffnet auf Borden, und jede Woche kam aus der Verkaufsabteilung ein Bericht mit Zahlenangaben, die sie in ihren Tabellen zu verarbeiten hatten, Ziffernkolonnen nach den Provinzen Deutschlands geordnet, die sich in winzige Marmeladeneimerchen auf bunten Landkarten verwandelten.
    Später erfanden sie für neue Marmeladensorten neue Namen und ordneten ihr
    Zahlenmaterial so eifrig, daß sie jederzeit Auskunft geben konnten, wo wieviel von welcher Marmelade gegessen wurde und gegessen worden war. Sie krönten ihren Zynismus, indem sie eine Denkschrift verfaßten, die sie
    »Entwicklung und Verbreitung von Holsteges aromatischer Konfitüre«
    nannten und zum 25jährigen Bestehen der Firma im Jahre 1938 herausgaben,
    versehenes Heft, das an alle Kunden gratis verschickt wurde. Albert entwarf
    neue Plakate, Rai verfaßte neue Slogans, und die Abende verbrachten sie mit Nella und den wenigen Freunden, die sie im Jahre 1938 noch haben konnten. Es war ihnen nie ganz wohl in dieser Zeit, und an den Abenden brach ihre unterdrückte Gereiztheit oft aus, besonders wenn Pater Willibrord sie besuch Ȭ te. Rai haßte Willibrord, denselben, der jetzt den Kult, der mit Rai getrieben wurde, heftig förderte. Es endete meistens damit, daß sie Willibrord so heftig beleidigten, daß er ging, und wenn er gegangen war, betranken sie sich, besprachen die Möglichkeit auszuwandern, und am andern Morgen kamen sie verspätet mit Kopfschmerzen in ihr Büro und zerrissen oft in plötzlicher Wut alle Zeichnungen und Tabellen.
    Aber Tage später fingen sie wieder an zu zeichnen, erfanden neue Symbole für Marmeladenverbraucher, neue Kategorien und Farbnuancen, um die einzelnen Sorten graphisch zu charakterisieren, und ihr letztes Werk, bevor sie in den Krieg mußten, war wiederum eine historische Denkschrift, in der Rai zu beweisen unternahm, daß Steinzeitbewohner, Römer, Griechen, Phöni Ȭ zier, Juden, Inkas und Germanen schon die Segnungen der Marmelade genossen hatten. An diese Denkschrift verschwendete Rai seine ganze Phantasie und Albert sein ganzes Zeichentalent, und sie wurde ein Meisterwerk, das dem

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