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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Lächeln dabei zustande brachte. »Ja, bitte«, sagte er.
    Sie angelte ein Glas aus dem Spalt zwischen Bett und Wand und eine Flasche mit trübem, bräunlichem Schnaps. Nella goß ihm ein. Sie sagte nichts, sie ermunterte ihn weder noch dämpfte sie ihn, sie wartete ab, ein wenig lauernd.
    Dann sagte er: »Trink doch mit«, und sie nickte und angelte aus dem Spalt zwischen Bett und Wand eine Kaffeetasse heraus, kippte den Rest Kaffee und Kaffeesatz mit einem Ruck über seinen Kopf hinweg aufs Parkett und hielt ihm die Tasse hin. Er goß ihr ein, und sie tranken beide und rauchten, während der Heizofen in seinem Rücken summte wie eine große, freundliche Katze. Noch bevor sie den Schnaps ausgetrunken hatte, knipste er das Licht aus, und er sagte, von dem Heizofen rötlich angestrahlt: »Wenn du nicht magst, sag, daß ich gehen soll.« Ȭ »Nein«, sagte sie, und sie lächelte ängstlich, und er bekam nie heraus, ob dieses Nein in diesem Augenblick ja oder nein hieß. Er knipste auch den Heizofen aus, wartete, bis die Drähte ausgeglüht waren, und beugte sich über ihr Bett. Sie zog im Dunkeln seinen Kopf zu sich wie mit einer Schlinge, küßte ihn auf die Wange und murmelte im Dunkeln: »Es ist schon besser, du gehst«, und er behielt eine merkwürdige Enttäuschung zurück: Enttäuschung über ihren Mund, der ihm weich und groß erschienen war auf seiner Wange, ein Kuß, der ihm nicht so erschien, wie er sich Nellas Küsse vorgestellt hatte. Er knipste das Licht wieder an, auch den Heizofen, und empfand es als wohltuend, daß er sich nicht zu schämen brauchte, weil Nella so nett war, und daß er keine große Enttäuschung empfand, weil sein Plan nicht gelungen war. Nella lachte, als das Licht wieder
    brannte, und sie zog ihn noch einmal mit ihrem Arm wie in einer Schlinge zu
    sich herunter und küßte ihn auf die andere Wange, und er spürte wieder Enttäuschung. Nella sagte: »Wir können es nicht«, und er ging in sein Zimmer zurück, und sie sprachen nicht wieder davon, und er hatte es vergessen bis zu diesem Augenblick, wo es ihm im Badezimmer wieder einfiel.

    Nella setzte das Zahnglas auf das Bord und sah ihn nachdenklich an: »Ja, damals wollte ich nicht, wegen des Kindes...« »Und heute«, sagte er, »kann ich nicht Ȭ auch wegen des Jungen.«
    »Merkwürdig«, sagte sie lächelnd, »daß ich das vergessen konnte.«
    »Manches vergißt man«, sagte er auch lächelnd, »weil es so ist, als wäre es gar nicht geschehen. Aber vielleicht bist du nun nicht mehr gekränkt über das, was ich eben sagte.« »Wir sind inzwischen neun Jahre älter geworden«, sagte sie. »Gute. Nacht.«
    Er ging ins Badezimmer und hörte kurz darauf Nella in ihr Zimmer gehen und
    die Tür schließen. Er zog sich aus und stieg in die Wanne, und er war jetzt schon ärgerlich über die Müdigkeit, die ihn gegen neun befallen würde. Er liebte es, früh schlafen zu gehen, tief und lange zu schlafen, am Morgen früh aufzustehen und mit dem Jungen zu frühstücken und ihm den Weg in die Schule zu erleichtern, denn er wußte, wie schrecklich es für ein Kind ist, wenn es morgens als einziges früh aufstehen, sein Frühstück zusammensuchen, dann in die Schule trotten muß, wissend, daß alle im Hause noch schlafen können. Seine Eltern hatten eine Kneipe gehabt und waren nie vor drei, vier Uhr ins Bett gekommen, und seine ganze Kindheit lang war er morgens durch vollgerauchte Gastzimmer in die leere und große Küche gegangen. Dort roch es nach kaltem Fett, altgewordenen Salaten, auf einem Frühstücksbrett lagen seine Butterbrote, und auf dem Gaskocher stand der Kaffee in einer Aluminiumkasserolle. Das Zischen der Gasflamme in der eiskalten, übel riechenden Küche, der hastig hinuntergewürgte heiße Kaffee, der aufgewärmt schmeckte, und die Butterbrote mit viel zu großen, eilig heruntergesäbelten Fleischstücken, die er nicht mochte. Solange er von zu Havse weg war, hatte er sich danach gesehnt, früh ins Bett zu gehen und früh aufzustehen, aber
    immer hatte er mit Leuten zusammenge Ȭ
    lebt die diesen Rhythmus unmöglich machten. Er brauste sich kalt ab,
    trocknete sich und ging leise in die Küche. Glum war, während er badete, schon dort gewesen. Glums Kaffeekännchen war leer, und die Kaffeemütze lag daneben. Auch Bolda schien schon gegangen zu sein. Es lagen Krümel ihres dunklen, sauren Brotes herum.
    Er ging in sein Zimmer und wollte Martin wecken, aber er war schon wach. Das Kind lächelte. Offenbar freute es sich, zu

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