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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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zurückwarf.
    Langsam verqualmte die Zigarette in ihrer Hand: Heller, blauer Rauch bildete
    verwehende Muster, und nebenan die Stimme des Jungen, der Albert seine Lektion aufsagte Ȭ .Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr...
    Jahre hatte sie damit verbracht, sich auszudenken, wie alles hätte kommen
    können: mehr Kinder noch und das Haus und für Rai die Beschäftigung, die er sich erträumte Ȭ aus der Pubertät ins Mannesalter geschleppte Glücksvorstellung, durch Nazizeit und Krieg erhaltener Traum, von dem er auch in seinen Briefen immer wieder schrieb: eine Zeitschrift herauszugeben. Der Traum aller Männer, die irgend etwas mit Literatur zu tun hatten. Zwanzig Männer kannte sie sicher, die sich mit dem Plan trugen, eine Zeitschrift herauszugeben. Auch Albert verhandelte schon seit Jahren mit dem Besitzer einer Druckerei, den er graphisch beriet: Eine satirische Zeitschrift wollte er gründen. Trotz allen Spottes, den sie im Herzen gegen dieses Projekt trug, eines liebenswürdigen Spottes, hatte ihr die Vorstellung Freude gemacht, mit Rai zusammen in einem Zimmer zu sitzen, das zugleich Redaktionsbüro war: Bücher häuften sich auf den Tischen, Druckfahnen lagen herum, endlose Telefongespräche über Neuerscheinungen wurden geführt, und alles wurde in dem berauschenden Bewußtsein getan, daß die Nazis weg waren und der Krieg vorbei. Diesen Film zu sehen, war ihr gelungen, solange noch Krieg war. Sie hatte es gesehen, dieses Leben, genau, sie hatte die Bitternis frischer Druckerschwärze auf grobem Papier gerochen, gerochen, sie sah den Teewagen ins Zimmer schieben, mit Besuchern Kaffee trinken, aus großen, hellblauen Blechschachteln Zigaretten anbieten, während die Kinder im Garten lärmten. Bild aus einer Zeitschrift für Wohnkultur: um einen Wassersprühhahn herumspringende Kinder Ȭ herabgelassene Sonnenjalousien Ȭ wild korrigierte Druckfahnen und auf dem Tisch: Rais Handschrift Ȭ mit einem ganz weichen, tiefschwarzen Stift geschrieben. Zum Leben erwecktes Bild aus einer Zeitschrift für Wohnkultur: im Hause eines Schriftstellers Ȭ mildes, grünes Licht und der Gesamteindruck von Glück Ȭ und jemand am Telefon, Albert, der sagte: »Mensch, hast du den
    vergeben« Ȭ Lachen Ȭ und Rai so glücklich, wie er noch 1933 hatte sein können. Bis ins einzelne spann sie es aus, sie sah Rai, ihre Kleider, die Bilder an den Wänden, sah sich über großen »geschmackvollen« Tellern Orangen schälen, Nüsse aufhäufen und erfand in ihren Träumen Getränke, die sie bei Sommerhitze anbieten würde: wunderschöne Säfte, rote, grüne, blaue, in de Ȭ nen Eisstückchen schwammen und Kohlensäure perlte Ȭ und Rai, der den Kindern, die heiß aus dem Garten kamen, Soda übers Gesicht spritzte, und Albert am Telefon: »Das ist eine Begabung, dieser junge Bosulke.«
    Film, der fertig gedreht war, aber nicht hatte gespielt werden können,
    abgeschnitten durch einen kleinen Stümper. » Wer wird vor dir bestehen ?« sagte der Junge nebenan, und Albert klopfte mit der Faust gegen die Wand und rief: »Telefon für dich, Nella.« Sie rief: »Ja, danke, ich komme« und ging langsam hinüber. Albert spielte in ihren Träumen mit, er war der unent Ȭ behrliche Freund, dem sie mit besonderer Liebenswürdigkeit besonders erfrischende Getränke mixte. Er blieb, wenn alle längst gegangen waren. Als sie ihn jetzt auf seinem Bett sitzen sah, ein halbes, mit Marmelade bestrichenes Brötchen in der Hand, erschrak sie: Alt war er geworden, müde sah er aus, sein Haar hatte sich gelichtet, und er ließ sich nicht in den so wunderbar kitschigen Film transponieren.
    Sie sah Albert an, sagte guten Morgen und las auf seinem Gesicht, daß Gäseler nicht seinen Namen genannt hatte. Martin, ein Buch in der Hand, stand neben Alberts Bett und rezitierte: In Gnade mögen neigen sich dein Ohr.
    »Bitte«, sagte sie, »sei einen Augenblick still.« Sie nahm den Hörer auf und sagte: »Hallo.« Flach und nah kam die Stimme aus dem Film, in dem mitzuspielen sie keine Lust hatte, hineingeworfen war sie plötzlich in das, was sie haßte, die Wirklichkeit, die Gegenwart. »Sind Sie es, Nella?« »Ja.«
    »Hier Gäseler.« »Ich hoffe, Sie...«
    »Nein, ich habe keinen Namen genannt. Ich rufe nur an, um mich zu vergewissern, daß es bei unserer Abmachung bleibt.« »Natürlich«, sagte sie.
    »Ein Zimmer ist reserviert, und Pater Willibrord freut sich, daß Sie zugesagt
    haben. Es wird fabelhaft werden.«

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    »Natürlich komme ich«, sagte sie

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