Haus Ohne Hüter
die schlecht ausgedrückte Tube mit Rasiercreme und die blaue Blechdose mit Hautsalbe, die schon seit fünf Jahren dieselbe war. Seine Zahnbürste, sein Kamm, seine Seife und die verstaubte Flasche voll Lavendelwasser, deren Inhalt niemals abzunehmen schien. Seit Jahren, schien ihr, stand der Spiegel des Lavendelwassers genau über dem Mund der rosigen Frau, die das Etikett zierte. Diese Frau war alt geworden auf dem Etikett, verschlissene Schönheit, die schwermütig durch ihre eigene Ver Ȭ gänglichkeit hindurchlächelte Ȭ wie sie einst Ȭ als sie neu war Ȭ so hoffnungsvoll in die Ferne geblickt hatte, gealtert jetzt im Gesicht, verschlampt in der Kleidung, ramponierte ???Beaute, die solch schlechte Behandlung nicht gewohnt war. Die Flasche stand schon lange da. Offenbar begriff er nicht, daß es für sie eine Qual war, mit einem Mann, den sie gern mochte wie ihn, so nah zusammen zu wohnen Ȭ und warum dieser tödliche Ernst, daß er unbedingt auf Heirat bestand.
Sie erkannte einen Mann daran, wie er ans Telefon ging. Die meisten Männer
gingen ans Telefon, wie Männer in mittelmäßigen Filmen ans Telefon gehen, mit einem Gesicht, das sowohl Wichtigkeit wie Gleichgültigkeit ausstrahlen sollte. Mit sehr großen Schritten und einer Miene, die sowohl »Laßt midoch in Ruhe« wie »Sie brauchen mich also« ausdrücken sollte. Dann, wenn sie
welche Gespräche waren schon wichtig? Ȭ Worte wie »umdisponieren«,
»Entscheidung vorbehalten« einzuschmuggeln. Und der entscheidende Augenblick, wenn sie den Hörer auflegten. Wer konnte schon einen Hörer anders auflegen als ein schlechter Schauspieler: Albert konnte es, und Rai hatte es gekonnt. Wer konnte es sich verkneifen, aufgeschnappte Intelligenzproben in seine Telefonate einzuflechten wie künstliche Blumen in einen Kranz aus Fichtenzweigen. Auch rauchen konnte kaum ein Mann anders, als in Filmen geraucht wurde. Die Welt bestand aus Epigonen Ȭ und vielleicht war Albert so natürlich, weil er wenig ins Kino ging? Oft sehnte sie sich nach seiner Gleichgültigkeit und beklagte, wenn sie mit Dummköpfen unterwegs war, den Verlust an Zeit und die Verschwendung von Lächeln. Der Koffer stand gepackt, und sie würde sich drei Tage lang in Brernich langweilen, während Albert mit dem Jungen wegfuhr. Die Vorstellung, Schurbigel hören zu müssen, war wie die Vorstellung ewiger Verdammnis in einem Frisiersalon: süßlich warm, wohltuend zugleich und abstoßend Ȭ und
»alle die netten Leute«, die Pater Willibrord ihr zuführen würde. »Kannten Sie
sich noch nicht? Ȭ Ja, da wurde es aber Zeit, daß Sie sich kennenlernten.« Oh, verdammt zu sein zu sanfter Plauderei, und wunderte Albert sich wirklich, wenn sie gleich auf jeden hereinfiel, der nett war oder es zu sein schien?
Sie wandte sich vom Fenster ab, ging langsam an den ovalen Tisch und
schob den grünen Sessel heran. »Ist noch etwas Kaffee da?« »Ja, Mutter.« Martin stand auf, nahm die Kaffeemütze vorsichtig von der Kanne ab und schenkte ihr ein. Er warf fast den Marmeladentopf um. Sonst war er ruhig, fast langsam in seinen Bewegungen, aber wenn er mit ihr sprach, etwas für sie tat, wurde er eifrig in dem vergeblichen Versuch, flott zu sein. Er machte ein fürsorgliches, fast besorgtes Gesicht, wie Erwachsene es machen, wenn sie mit hilflosen Kindern zu tun haben, und manchmal seufzte er, wie Kinder seufzen, die es schwer haben. Er stöpselte den Röster wieder ein, legte das Brot in die Klappe und beobachtete geduldig, wie das Brot sich bräunte, nahm die fertigen Scheiben heraus und stellte sie am Rand des Brotkorbes hoch.
»Willst du noch essen?« »Nein, es ist für Albert.«
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»Und das Ei für ihn?«
»Hier«, sagte er lächelnd, und er stand auf, ging zu seinem Bett, hob das Kopfkissen hoch: Da lag das Ei, bräunlich und sauber. »Damit es warm bleibt. Albert mag kalte Eier nicht. Kaffee ist auch noch für ihn da.«
Seine Fürsorge für Albert war anders als die, die er für sie aufbrachte.
Vielleicht kam es daher, weil Albert ihm mehr vom Vater erzählte, langsam in die Rolle eines unentbehrlichen Freundes hineingewachsen war. Jedenfalls blieb er immer ganz ruhig, wenn er etwas für Albert tat.
Sie erzählte ihm wenig von Rai. Nur noch selten nahm sie die Mappe heraus, in der sie Rais Gedichte aufbewahrte: Zeitungsausschnitte, Manuskripte und das kleine, fünfundzwanzig Druckseiten umfassende Heft mit dem bläulichen Deckel, das in jedem Aufsatz über moderne Lyrik erwähnt wurde. Eine
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