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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Leute ihr Leben eingerichtet haben.« Sie weinte kurz auf, faßte sich wieder und sagte: »Jetzt noch eine Frau, und dein Leben wäre komplett.« »Warum nicht«, sagte er, und als er vor dem roten Licht stoppen mußte an der Pipinstraße, nahm er ihre Hand und sagte: »Du verrennst dich in Snobismus, Nella.«
    Sie erwiderte den Druck seiner Hand und sagte: »Nein, es ist etwas anderes
    als verrennen, ich kann ihnen nicht verzeihen, daß sie meinen Mann abgeknallt haben Ȭ ich kann ȇ s nicht verwinden, nicht verzeihen und nicht vergessen, und ich möchte ihnen nicht zum zweiten Male die Freude machen, eine glücklich lächelnde Frau abzugeben«, sagte sie. »Wem?«
    »Ihnen«, sagte sie ruhig, »such dir aus, wen ich meinen könnte. Es ist grün, fahr weiter.«
    Er fuhr weiter. »Nichts, was du tust«, sagte er, »tust du ganz. Du bist keine Mutter, keine Witwe, keine Hure und niemandes wirkliche Geliebte Ȭ ich bin eifersüchtig«, sagte er, »eifersüchtig auf die verschwendete Zeit, nicht einmal auf die Dummköpfe, mit denen du sie verschwendest Ȭ und es wird so bleiben, daß ein Mann nicht mehr für eine Frau tun kann, als sie bitten, ihn zu heiraten.«
    »Nein«, sagte sie, »manchmal kann es mehr bedeuten, der Geliebte einer
    Frau zu sein. Es ist ganz merkwürdig, früher waren die Frauen froh, wenn sie geheiratet wurden, heute scheint ȇ s umgekehrt zu sein, jedenfalls liegt mir nichts daran.« »Weil du versnobt bist. Jahrelang diesen Flachköpfen auzuhören Ȭ das tut seine Wirkung. Wo möchtest du raus?« »An der Sparkasse«, sagte sie.
    Er wartete, bis der Polizist ihm die Fahrbahn freigab, umkreiste den Platz
    Karls des Großen und hielt vor der Sparkasse. Er stieg aus, half ihr beim Aussteigen und nahm ihren Koffer aus dem hinteren Teil des Wagens.
    »Diesmal«, sagte sie lächelnd, »verschwende ich meine Zeit wirklich nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Schön«, sagte er, »spielen wir das Spiel umgekehrt, früher warteten treue Frauen darauf, daß sie von ungetreuen Männern geheiratet würden, jetzt warte ich darauf, als Mann, als treuer, glaube ich, bis die Ungetreue sich heiraten läßt.«
    »Treu bist du«, sagte sie, »und ich weiß, daß es gut ist.« Er gab ihr die
    Hand, stieg ein und umkreiste den Platz zum zweiten Male.
    Sie wartete, bis er um den Platz herum und in die Straße der Merovinger eingebogen war, dann winkte sie eins von den Taxis heran, die unter dem alten Stadttor warteten, und sagte dem Fahrer: »Zum Platz der Vertrauensbank.«
12

    Sonst beeilte er sich nicht, nach Hause zu kommen, wenn die Schule aus war. Er schloß sich denen an, die unter dem Namen Bummler bekannt waren, aber auch unter denen war er der, den es am wenigsten trieb. Manche liefen schnell, sie hatten Hunger oder freuten sich auf irgend etwas, mußten einkaufen gehen, jüngeren Geschwistern das Essen wärmen. Brielach mußte für seine kleine Schwester kochen, er war in der Schule immer müde und lief, sobald es zum Schluß schellte, ganz schnell weg, weil seine Mutter aus dem Haus ging, zwanzig Minuten bevor die Schule aus war. Dann war Wilma mit Leo allein, und Brielach hatte keine Ruhe in der Schule, wenn er wußte, daß Wilma mit Leo allein war. In der letzten Unterrichtsstunde pflegte Brielach ihm zuzuflüstern: »Ich habe keine Ruhe mehr.« Brielach hatte wirklich keine Ruhe. Er hatte viel zu tun, erledigte die Schule nebenbei wie etwas, das lästig, zugleich angenehm unwirklich ist. Luftbläschen unter der Eisdecke, süße Spielereien, die schön waren, die zu genießen aber auch Zeitverschwendung bedeutete. Manchmal war es auch bloß langweilig, und Brielach schlief in der letzten Stunde ein, wenn die Unruhe um Wilma ihn nicht wach hielt.
    Martin war wach und lauerte auf die Klingel. Die Zeit staute sich, die Zeit hielt
    die Luft an, um den großen Zeiger mit einem Ruck auf die Zwölf zu pusten, und es klingelte. Brielach fuhr auf Ȭ sie nahmen die Ranzen, hängten sie im Hinauslaufen um und rannten durch den Flur, den Hof, auf die Straße. Wettlauf bis zur Ecke, wo er nach rechts, Brielach nach links mußte. Sie lagen weit vor den anderen und liefen auf der Fahrbahn, um auf dem Bürgersteig nicht durch die Mädchen, die in die Schule strömten, behindert zu sein. Brielach war zuerst an der Ecke, aber er wartete, wenn er auch ungeduldig war, nach Hause zu kommen, und als sie sich verabschiedeten, rief Martin:
    »Du fährst mit uns nach Bietenhahn. Wir holen dich ab.« »Ich muß erst

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