Haus Ohne Hüter
Frauen zu vereinigen. Der Bäcker schien ganz verrückt darauf zu sein, sich mit Brielachs Mutter zu vereinigen, er schien fast zu singen, unverständliches Gestammel, und er hatte die Blechtür leise aufgedrückt, um zu sehen, was er nur hörte Ȭ zu sehen, ob sie sich wirklich vereinigen, aber Brielach hatte ihn wütend zu Ȭ rückgerissen, hatte Wilma auf den Arm genommen, und sie waren nach Hause gegangen, ohne sich zu zeigen. Brielach war eine ganze Woche lang schon nicht mehr in die Bäckerei gegangen, und er versuchte sich Brielachs Schmerz vorzustellen, indem er versuchte sich vorzustellen, wie es ihm erginge, wenn seine Mutter das Wort gesagt hätte. Er probierte das Wort, indem er sich alle Leute, die er kannte, vorstellte und es ihnen in den Mund legte, aber aus Onkel Alberts Mund kam das Wort
einfach nicht heraus, während es Ȭ und hier schlug sein Herz schneller, und er
verstand Brielachs Schmerz —, während es aus seiner Mutter Mund nicht ganz unmöglich klang. Aus Wills Mund kam es gar nicht, und Bolda, Glum, Alberts Mutter und Großmutter Ȭ aus deren Mund kam es nicht, es paßte nicht hinein Ȭ nur die Mutter Ȭ bei ihr klang es nicht ganz unmöglich. Lehrer, Kaplan, der junge Mann im Eissalon Ȭ an ihnen allen wurde das Wort ausprobiert, und da war ein Mund, in den es hineinpaßte wie der Stöpsel ins Tintenfaß, Onkel Leos Mund. Leo sprach es noch deutlicher aus, als Brielachs Mutter es ausgesprochen hatte.
Er sah die kleine Bummlerin nicht mehr, es war bald Viertel vor zwei, und er
versuchte sich vorzustellen, wie sie in die Klasse trat, sie würde lächeln und lügen, und sie würde weiterlächeln, wenn sie geschimpft wurde. Die war eine ganz Sture. Sie würde gebrochen werden Ȭ und obwohl er längst von Albert wußte, daß Kinder nicht geschlachtet wurden, stellte er sich vor, wie sie ge Ȭ brochen in Vohwinkels Küche wanderte. Er stellte es sich vor, weil er anfing, Albert zu hassen, und weil er Albert strafen wollte. Weil er nicht wußte, wohin er gehen sollte, denn bei Brielach war Onkel Leo, und er mochte den Mund nicht sehen, in den das Wort so genau hineinpaßte, und die leere, ganz leere Kirche, in der Bolda jetzt war, ängstigte ihn ebenso wie die Aussicht, von Großmutter in Vohwinkels Weinstube geschleppt zu werden, wo die Gebrochenen verzehrt wurden, wo auf jeden Fall er würde brechen müssen in dem entsetzlichen Klo, zwischen den Hintern der Fresser und Knochenknacker. Er rückte noch näher zum Atrium und spürte, daß er Hunger hatte. Es gab noch eine Möglichkeit: nach Hause gehen, sich hineinschleichen und das Essen aufwärmen. Er kannte die Anweisung zum Aufwärmen schon auswendig, vom Rand der Zeitung abgerissen und hastig draufgeschmiert. »Dreh den Hahn nicht zu weit auf Ȭ bleib dabei stehen« Ȭ dreimal unterstrichen. Aber der Anlick des kalten Essens verdarb ihm den Appetit, das schien noch niemand zu wissen, geronnenes Fett der Soßen, die angetrockneten Kartoffeln, klumpige Suppen und die Gefahr, daß die Großmutter kommen würde. Vier Dutzend Fischgerichte in Vohwinkels Weinstube, rötlich, bläulich, grünlich schimmerndes Fischfleisch, und grinsende Fettsäcke, die an Aalstücken herumlutschten, und durchsichtige
liche, bläuliche Soßen, zerkrümelte Haut von gekochtem Schellfisch, die wie zusammengelesene Radiergummiflusen aussahen.
Albert kam nicht, und Albert würde nie kommen, und um sich zu rächen, zwängte er das häßliche Wort so lange, bis es in Alberts Mund paßte.
An den Vater zu denken, war zu traurig: in der Ferne getöteter, viel zu junger Mann, lächelnd, die Pfeife im Mund, unfähig, das Wort auszusprechen.
Der Kaplan war zusammengezuckt, als er im Beichtstuhl das Wort sagte.
Zögernd, errötend, um sich davon zu befreien, sprach er es aus, das Wort, das nicht einmal zwischen Brielach und ihm gesprochen worden war. Das bleiche Gesicht des jungen Priesters zuckte, und der Kaplan beugte sich nach vorne wie ein Gebrochener. Zu Tode traurig, schüttelte er den Kopf, nicht wie jemand, der nein sagen will, nicht wie jemand, der erstaunt ist; er schüttelte den Kopf wie jemand, der dahintaumelt, bevor er umfällt.
Vom violetten Vorhang abstrahlender Schimmer färbte das bleiche Gesicht des
traurigen Kaplans gespenstisch. Fastenzeitfarbe über den Kaplan ausgegossen, und der Kaplan seufzte, ließ sich alles erzählen und sprach von Mühlsteinen, Mühlsteine um die Hälse derer gebunden, die ein Kind verführen, und er entließ ihn mit der
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