Hausbock
ihren Vorurteilen und
irrationalen Ängsten bestätigen. Brandschutz und Denkmalpflege, das ist ein
Dauerkonflikt. Ich denke, es wird das letzte Mal sein, dass ich hier bin«,
sagte Pfunder traurig. Er kramte noch einmal in seinem Täschchen und reichte
dem Bürgermeister eine Visitenkarte, und weil er schon dabei war, gab er auch
Morgenstern eine.
Die Kommissare gingen zum Auto.
»Ich hab schon lange keinen Mann mehr mit Herrenhandtäschchen
gesehen«, sagte Morgenstern.
Hecht errötete, und Morgenstern wusste sofort, was los war. »Sag
bloß, du hast auch eines?«
»Geht dich gar nichts an. Ich nehme es fast nie mehr. Aber praktisch
ist es schon.«
Morgenstern musste lachen, und das brachte Hecht in die Offensive.
»Brauchst nicht zu glauben, dass du der Inbegriff des guten Geschmacks bist.
Ich kenne außer dir keinen, der in deinem Alter noch mit solchen Lederstiefeln
rumläuft. Und deine Jeansjacke: Meine Güte, du glaubst, du wärst immer noch ein
Teenager. Stell dich einfach mal den Tatsachen: Du bist ein Familienvater in
seinen besten Jahren. Weißt du, wie du mir manchmal vorkommst? Wie ein
Spätpubertierender. Werd endlich erwachsen.«
Während der ganzen Fahrt nach Weißenburg sprachen sie kein Wort.
Das Amtsgericht befand sich an der Ringstraße, die der mittelalterlichen
Befestigung der einstigen freien Reichsstadt folgte. Rund um den alten
Stadtkern waren vor hundert Jahren großzügige Villen gebaut worden; in einem dieser
Gebäude befand sich heute das Gericht.
Als Hecht und Morgenstern ankamen, wurden sie bereits am Eingang von
einem Mann mit einem Leitz-Ordner unter dem Arm empfangen. Er stellte sich als
Amtsrichter Markus Böhlein vor und führte sie in ein gemütliches Büro mit
historischen Stichen von Weißenburg. Die Wülzburg war zu sehen, das Ellinger
Tor, das gotische Rathaus. Richter Böhlein, etwa im gleichen Alter wie der
verstorbene Rupert Ledermann, legte seinen Ordner auf den Tisch und klappte ihn
verheißungsvoll auf.
»Sie forschen also nach den, nennen wir es Problemfällen unseres
Herrn Dr. Ledermann«, sagte er. »Hier sind sie, zumindest diejenigen, die
mir und meinen Kollegen und Mitarbeitern spontan eingefallen sind. Fünf Stück.
Ich kann Ihnen nicht zu jedem Fall detailliert Auskunft geben, aber über die
wichtigsten Vorgänge wusste ich natürlich Bescheid. Diese Dinge waren in der
Regel ja auch presserelevant. Da kamen dann Anrufe, Beschwerden. Da stand unser
guter Ruf auf dem Spiel. Meistens lag es dann an mir, die Wogen zu glätten. Ich
kann Ihnen sagen: Kollege Ledermann hat es uns nicht immer leicht gemacht.«
»Konnten Sie das denn nie grundsätzlich mit ihm klären?«, fragte
Hecht.
»Gespräche mit ihm waren schwierig«, sagte Böhlein. »Richtig gut
unterhalten konnte man sich mit ihm nur, wenn man auf das Thema Denkmalschutz
kam, dann ist er aufgetaut.«
Hecht tippte auf den Leitz-Ordner. »Erzählen Sie mal von seinen
Urteilen.«
Böhlein warf einen Blick in die Unterlagen. »Wir haben hier zum
Beispiel einen Ladendieb, mehrfach einschlägig vorbestraft. Ertappt beim
Diebstahl von zwei Flaschen Wodka. Ein Alkoholiker, eigentlich ein armer Hund.«
Er blätterte weiter. »Oder hier: eine Schlägerei vor einer Disco in
Treuchtlingen. Ledermann steckte den Rädelsführer für zwei Jahre und drei
Monate hinter Gitter, für die anderen gab es hohe Geldstrafen. Und hier haben wir
einen Fall von Drogenhandel, da verstand er überhaupt keinen Spaß.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Morgenstern. »Zwei Jahre ohne Bewährung?«
»Sie haben es erfasst. Dr. Ledermann gab nur äußerst ungern Bewährungsstrafen.
Bewährung war für ihn keine Strafe, kein Warnschuss und auch keine Chance zur
Einsicht und Besserung. Bewährung war für ihn weich, ›dotterweich‹, sagte er
immer.«
»Hoffentlich müssen wir diese Leute nicht alle befragen«, seufzte
Morgenstern. »Zwei Jahre hinter Gittern, da hat einer viel Zeit, um Rachepläne
zu schmieden.«
»Immerhin hat er es geschafft, unsere Drogenszene nachhaltig
einzuschüchtern«, sagte Böhlein. »In unserem Landkreis wusste jeder, woran er
war, sollte er an Dr. Ledermann geraten. Die Beamten in den
Polizeiinspektionen Gunzenhausen und Weißenburg waren ihm dankbar.« Er reichte
Morgenstern ein Blatt mit Namen und Adressen. »Viel Erfolg.«
Morgenstern faltete das Papier zusammen und schob es in die Brusttasche
seiner Jeansjacke. Im Hinausgehen sagte er zu Hecht: »Junkies, Zündler,
Altbaugegner: Allmählich
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