Hausers Zimmer - Roman
ginge, würde ich bis fünf Uhr morgens tanzen oder »durchmachen«, aber wir waren schon um halb zwei total müde. Rolf und Larissa beim Knutschen zusehen konnte ich auch auf dem Schulhof. Im Taxi meinte Fiona, dass wir uns das Riverboat hätten sparen können. Sie wäre doch besser mit ihrer Mutter ins Theater gegangen. Ich schwieg. Vermutlich waren Anna und Wiebke in das gleiche Stück gegangen. Was für ein aufregender Abend: rückblickend schien uns, wir hätte lieber mit unseren Eltern ausgehen sollen.
The Wiebkes and the Klauses schliefen nicht, als ich nach Hause kam, schimpften aber auch nicht wegen meines späten Eintreffens. Im Gegenteil, sie versuchten noch einmal, die Klanginstallation des norwegischen Environment Artist zu reparieren, und fragten, ob ich ihnen ein paar Teile anreichen könnte; sie standen beide auf der Leiter. Dazu hörten sie Brecht-Vertonungen. Für meinen Abend im Riverboat interessierten sie sich nicht weiter. Ich fragte auch nicht nach dem Theaterstück, denn ich wollte mir einen Vortrag von Wiebke ersparen. Schließlich verabschiedeten sie mich mit: »Wir sehen uns morgen bei der Maus .«
Ich schlief unruhig; ein frühmorgendliches Sommergewitter fand seinen Weg in meine Träume, Schusssalven aus Maschinengewehren, abgefeuert aus den Bullaugen vom Riverboat durchsiebten mich, aber ich war so weit von mir entfernt, dass ich die Szene wie eine Fremde beobachtete. Von irgendwoher meinte ich Helmut Schmidt zu hören, untermalt von Hundegebell.
Am nächsten Tag kroch ich trotz Geschlossen auf Falks Hochbett und berichtete ihm von dem Anruf, den missglückten Diskobesuch behielt ich lieber für mich. Aber Falk war mit seinen Gedanken woanders: bei seiner Musik. Ich betrachtete meinen Bruder lange, wie er vor seinen Boxen hockte, sein schmales, ernstes Gesicht, ein bisschen wie Nick Drake, und ich fragte mich, was er wohl ausbrütete. Schließlich fragte ich ihn doch, ob er nicht auch mal nach Patagonien wolle. Lange Zeit regte sich nichts in Falks Gesicht. Dann sagte er: »Ist das wieder eine neue Jule-Macke?« Und nach einigen genüsslichen Zigarrettenzügen: »Patagonien, da steckt Agonie drin.«
Ich ärgerte mich über diese Bemerkun g – typisch Falk, er musste anderen immer etwas madig machen. Ich hätte ihm gar nichts von Patagonien erzählen sollen, er teilte auch nicht alles mit mir.
Schwarzes Café – Roter Irokese
An diesem Sonntag fand ich meine Eltern weder bei der Maus noch beim Kunstwerkeabstauben, dafür einen der üblichen Memoblockzettel, die The Wiebkes and the Klauses Falk und mir dreimal am Tag in die Küche legten. Die beiden waren heute noch zu einem »Ateliertreff« eingeladen. Eine Wegbeschreibung fehlte auch nicht. Dass der Künstler in seinem Atelier eine begehbare Installation zeigen würde, erwähnten meine Eltern ebenfalls; das Wort »begehbar« hatten sie zweimal unterstrichen und mit einem Smiley versehen.
Als ich den Zettel aus der Hand legte, klingelte das Telefon. Steffen fragte mich, ob ich Lust hätte, abends mit auf ein Jazzkonzert im Quasimodo zu kommen. Bei einer Radioverlosung habe er zwei Karten gewonnen. Ich erzählte Steffen von dem Abend im Riverboat und dass ich heute keine Lust mehr auf große Unternehmungen hätte. Ich dachte, er wäre vielleicht beleidigt, dass ich sein Angebot ablehnte, aber wir redeten noch zwei Stunden über mögliche Varianten des Schachspiels, Lieblingstiere und Phantasietiere (trittfeste Küchenschaben mit Krümelfress- und Bodenreinigungsfunktion, Radioaktivität filternde unsichtbare Luftalgen, Ratten mit großen Kondorschwingen). Dann erzählte Steffen noch, dass er heute Morgen von einem missglückten Mauerfluchtversuch gehört habe. Der Tote sei ein junger Typ vom Prenzlauer Berg, nur ein paar Jahre älter als wir. Ich kicherte unsicher. Was war das doch für eine merkwürdige Stadt, in der immer wieder Menschen an der Grenze, also mittendrin, erschossen wurden. Nirgendwo kamen so viele Menschen an der innerdeutschen Grenze ums Leben wie in Berlin, hatte Klaus einmal gesagt. Es kam einem so irreal vo r – und war doch so nahe.
Nachdem Steffen und ich aufgelegt hatten, ließ ich Badewasser einlaufen. Als ich in der Wanne lag und die schlappen Helden über mir betrachtete, dachte ich, dass es blöd gewesen war, die Konzerteinladung auszuschlagen. Wann wurde ich schon mal eingeladen? Ich rief also nach dem Baden noch mal bei Steffen an. Er schien sich zu freuen, dass ich meine Meinung geändert hatte,
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