Hausers Zimmer - Roman
Kopfnicken beantwortete. Dann hob er einen Zeigefinger und rief: »Ich hatte Glück. Ich wurde schon einmal reinkarniert. Zu Beginn dieses Jahrhunderts. Und so fiel mir eine historisch bedeutsame Rolle zu: Ich habe im Namen des Volkes der Irokesen im Zweiten Weltkrieg Hitler-Deutschland den Krieg erklärt! Das haben wir nämlich unabhängig von den USA gemacht, mit denen wir nicht kooperieren wollte n … Aber auch das weiß kaum jemand hier in diesem Deppendorf, dass wir Irokesen den Deutschen den Krieg erklärt hatte n … Leute, ich muss gehen, meine Mutter erwartet mich. Jeden Abend gehe ich auf die Suche nach Menschen wie euch, denen ich meine Geschichte erzählen kann.«
Er schob noch einmal seine Stirn nahe an Steffens, vielleicht eine Gruß- und Abschiedsgeste, dann stand er auf, und ich sah den roten Irokesen in der Menschen- und Rauchwolke verschwinden.
Steffen und ich schwiegen eine Weile.
»Ich muss auch nach Hause«, murmelte ich schließlich mit einem Gähnen, »auch wenn meine Mutter nicht auf mich wartet.«
Wir schoben uns durch die Menge zum Ausgang. Ein dicker Typ mit weißblonden Stoppelhaaren in enger schwarzer Lederkluft warf Steffen noch schmachtende Blicke hinterher. Als die Tür hinter uns zufiel, fühlte ich mich betäubt von all den Eindrücken. Es nieselte, als wir die Kantstraße in Richtung Zoo entlangliefen. Als wir am U-Bahnhof standen, machte Steffen ein paar merkwürdige Bewegungen, die wie Dehn- und Streckübungen aussahen, dann beugte er sich zu mir herunter und drückte mich an sich.
Als ich später im Bett lag, klingelte das Telefon. Wer das wohl war? Bestimmt irgendein Maler, der meinen Vater belagerte, in der Hoffnung, dass dieser einen Artikel über ihn schrieb. Es hatte schon Künstler gegeben, die meinem Vater vor unserem Haus mit einem Lastwagen voller schrecklicher Skulpturen aufgelauert hatten.
Nach einer Weile vernahm ich Wiebkes schwere Schritte auf dem Parkett, aber der andere schien, nachdem Wiebke abgenommen hatte, aufgelegt zu haben, denn Wiebkes Stampfen setzte gleich wieder ein und entfernte sich. Ich konnte nicht schlafen. Wenn ich die Augen schloss, sah ich den Irokesentyp vor mir. Schließlich holte ich meinen Atlas hervor und schlug die Südamerikaseite auf, aber ich war so müde, dass Patagonien vor meinen Augen zu flimmern begann. Agonie, agonie, las ich. Als ich in den Hof blickte, war es stockfinster, das Hauser-Zimmer ein schwarzes Rechteck, auch aus den Souterraingrotten drang kein Schimmer Licht.
Einige Tage später überredete Fiona Isa und mich, mit ihr wegen des Yogalehrers nach der Schule noch mal ins Lochow zu gehen.
Wiebke fing mich vor der Haustür ab und gab mir drei Brötchen von gestern, ein weiteres Marmeladenglas von ihrer Mutter, Kekse, Äpfel und eine Melone für Erwin und Karl mit. Wir suchten die beiden, bis wir an ihrem Verschlag einen Zettel fanden: »Sind bei euch auf Dach. E + K.« Jemand aus unserem Haus musste sie eingeladen haben, vielleicht Falk. Als wir unsere Fahrräder aus dem Hof bugsierten, sahen wir Karl und Erwin oben mit dem Hauser, Falk, dem Olk, Herrn Söylesin und Frau Koderitz um den Grill herumsitzen. Wir hatten keine Lust, mit den schweren Taschen bis in den fünften Stock und von dort über eine Leiter aufs Dach zu klettern.
Isa schimpfte: »Ich bringe Erwin und Karl gern Essen auf den Parkplatz, aber ihnen auch noch das Menü an der Sonnenliege zu servieren, geht mir zu weit.«
Fiona widersprach ihr ungewöhnlich heftig: »Ach komm, das ist doch das Mindeste, was man für arme Mitbürger tun kann. Wenn man schon keine Briefe für politische Gefangene schreibt.«
Aha, daher wehte der Wind. Isa ging nämlich einmal die Woche zu Wuschel statt zu Anna und Fiona. Wiebke war eindeutig das Bindeglied zwischen Frau Hülsenbeck und Anna, ohne sie würden sich die beiden Mütter wohl eher aus dem Weg gehen. Ich nahm meine Tüte mit den Sachen vorsichtshalber mit.
Im Lochow war es wie immer sehr voll. Wir standen wieder ewig in der Schlange vor der Kasse. Kaum hatten wir die Fußdesinfektionsbecken, in denen wie immer viele Kinder herumtobten, hinter uns gelassen, sah ich Herrn Adán. Trotz der Hitze trug er ein langärmeliges Hemd und eine lange Hose. Nicht mal Schuhe und Strümpfe hatte er ausgezogen.
Als er mich sah, lächelte er und machte eine Bewegung, als wolle er mir bedeuten, mich neben ihn zu setzen. Einen Moment lang war ich hin- und hergerissen. Vielleicht könnte ich mich mit ihm über Patagonien
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