Hausers Zimmer - Roman
beide nicht besonders gut und wussten nicht mal, wie man richtig rochiert, sie ließen sich für jeden Zug viel Zeit, manchmal fünfzehn oder zwanzig Minuten, als hätte das Lochow ewig geöffnet und als würden sie ewig leben. Der Adán ging nach einer halben Stunde, er stand morgens sicher früh auf. Als er sich umdrehte, warf er mir noch ein langes Lächeln zu. Ein Sonnenuntergangslächeln mit den Bumshügeln im Hintergrund.
Riverboat – Boat People
In der Schule herrschte Ferienstimmung. Ein paar Mal fiel der Unterricht wegen »Hitzefrei« aus. Oft entließen uns die Lehrer früher; es war ihnen deutlich anzumerken, dass auch sie keine Lust mehr hatten.
Wenn ich auf unserem Balkon bei meinen Kakteen saß, hörte ich oft von den Hülsenbecks her Feuerzeug, Sex in der Wüste oder Monotonie , manchmal auch Ich kann nicht schlafen , aber nicht sehr oft, denn es war nicht Isas Lieblingslied. Isa hatte einen Schlaf wie Dornröschen.
Abends ging ich zu Fiona. Anna fläzte sich auf dem Bett ihrer Tochter und legte Tarotkarten. Vorher hatte sie Fionas lange Haare zu Zöpfen geflochten. Fiona trug nicht die Jean-Pascal-, Wit-Boy - oder Esprit - Klamotten wie der Rest der Klasse, sie sah immer aus wie eine kleine Ausgabe ihrer Mutter, die in weiten, selbst geschneiderten Kleidern und mit bunten Ketten herumlief. Aber Fiona wurde nicht geärgert oder spöttisch behandelt wie ich. Sie war einfach zu lieb, sagte nie etwas Provozierendes oder Merkwürdiges wie ich. Die anderen fanden sie mit ihrer feenhaften Art vielleicht seltsam, ließen sie aber in Ruhe.
An den Wänden von Fionas Zimmer hingen überall Bilder, die sie in ihren Therapiestunden angefertigt hatte. Auf einigen Bildern waren große, dunkle Vögel zu sehen, die auf der Brust eines kleinen Mädchens saßen, erst wurde der Vogel kleiner und das Mädchen größe r – dann aber kehrte sich die Entwicklung um. Auf einem neueren Bild war ein halb vogelartiges, halb kindhaftes Wesen zu sehen. Ich hatte Fiona ein paar Mal gefragt, ob sie je daran dachte, die Therapie zu beenden, doch immer hatte sie mich erstaunt angeguckt, als ob ich danach gefragt hätte, wann der Mond auf die Erde fällt, die Mauer einstürzt oder unserer Hinterhof kunstfrei wird. »Ich fühle mich wohl da, wohler als zu Hause«, sagte sie, und damit war das Thema erledigt.
Nachts glotzte ich mit meinem Minifernglas rüber zum Hauser. Im Gegensatz zu meinen Eltern, die vor jedem Urlaub nicht nur mit Packen, sondern auch damit beschäftigt waren, die Wohnung aufzuräumen und endlos Kunstwerke abzustauben, die nach der Reise wieder eingestaubt sein würden (nur die Tauben auf den Fensterbänken würden unsere Mühen würdigen können), war der Hauser offensichtlich in die Ferien gefahren, ohne vorher eine Putzattacke zu bekommen. Das Bett war nicht gemacht, überall lagen Zeitschriften, Platten und Klamotten herum. Dann sah ich, dass Herr Wiedemann aus seiner Dachfensterluke guckte. Schnell steckte ich mein Minifernglas weg.
Am nächsten Tag fragte Isa mich, ob ich nicht mit ihr, Fiona und Sonja ins Riverboat gehen wollte. Das Riverboat war eine richtige Disko, nicht nur ein dämlicher Jugendclub wie die Grotte , wo wir manchmal hingingen. Ich nickte heftig. Eine Disko für Erwachsene, zwanzigjährige Männer, die Lederhosen wie der Hauser trugen und bestimmt nicht nur über Schule und Eltern reden wollten.
Kaum saß ich beim Abendbrot mit Klaus und Wiebke, erzählte ich ihnen von meinem bevorstehenden Eintritt in die Welt der Großen. Sie fanden, ich sei noch »zu jung« dafür und würde in letzter Zeit so viel Wert auf Äußerlichkeiten legen, ob ich mich nicht meinen Hobbys (sagte Wiebke nicht neulich, ich hätte keine Interessen?) wie Malen, Schachspielen oder Töpfern widmen wollte (als wäre Töpfern je ein Hobby von mir gewese n …), anstatt mit einer Meute »dumm in einer Diskothek herumzustehen«. Wiebke und Klaus, die gern und ausführlich von ihrer »wilden Jugend« erzählten, fanden es nicht gut, dass ich vorhatte, mit meinen Freundinnen ins Riverboat zu gehen. Wiebke meinte, eine Disko sei eine phantasielose, langweilige Angelegenheit, und fragte, ob ich nicht lieber mit ihnen ins Theater gehen wolle. Sie würden ein Stück sehen, dass sich wirklich mit den Problemen dieser Welt befass e – es ging um Arbeitslosigkeit, Kindesmisshandlung und Scheidung in dem Stüc k –, das sei eine sinnvollere Freizeitbeschäftigung als so ein »Disko-Eskapismus«. Je länger sie sprach,
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