Hausers Zimmer - Roman
hörte ich Isa leise neben mir schnarchen. Ich nahm meinen Taschenatlas aus dem Leinenbeutel und lernte die Namen von Flüssen in der Subsahara auswendig. Das war für so einen Faultag wie heute eine gute Aufgabe, da gab’s nämlich nicht viele.
Nachdem sie wieder aufgewacht war, erzählte Isa mir eine kuriose Geschichte von einem Patienten ihres Vaters. Herr X. hatte eine Bank überfallen, um mit dem Geld ein Leben in Australien bei, wie er sich das vorstellte, den Aborigines führen zu können. Irgendwie sollte aber auch noch ein Haus in Melbourne her, für den Fall, dass das Experiment scheiterte.
Isa zwinkerte mir zu: »Andere wollen nach Südamerika auswandern und im Dschungel von Ahoj-Brause und Gummibärchen leben.« Versöhnlich öffnete sie eine Tüte Gummibärchen. »In Berlin schmecken die auch.«
Nach über einer Stunde kam Fiona missmutig zurück. Sie hatte allerlei Bekanntschaften gemacht und einen Pusteblumenstrauß geschenkt bekommen, ihren Schwarm aber nicht gefunden.
Als ich mich schließlich anbot, vielmehr opferte, für uns drei Pommes und Fanta zu holen, entdeckte ich den Hauser. Er stand weit vor mir in der Schlange vor dem Kiosk und unterhielt sich mit einer Frau, die tief braungebrannt war und eine Sonnenbrille mit herzförmigen Gläsern trug. Während sie mit ihm sprach, lachte sie laut. Einmal strich sie ihm eine lange Strähne aus dem Gesicht.
Als die beiden an die Reihe kamen, bemerkte ich, dass nur sie ihr Portemonnaie zückt e – ein kleines, türkisfarbenes, das Schuppen wie ein Fisch hatt e – und er ein beschämtes Gesicht machte. Allzu unglücklich wirkte er jedoch nicht. Dann schlenderten die beiden mit ihrer Cola und ihren Pommes in Richtung Lochow-Hügel, aber sie hatten sich einen weiter entfernten Hügel als unseren ausgesucht, einen der Bumshügel, wie sie von wenig romantisch veranlagten Zeitgenossen genannt wurden.
Jetzt gesellte sich Isa zu mir. Sie hatte abgewartet, bis ich an der Reihe war. Als ich vortrat, um meine Bestellung aufzugeben, schlug mir ein derart intensiver Geruch nach altem Fett entgegen, dass ich einen Moment lang keine Luft mehr bekam. Es musste unerträglich heiß in der Bude sei n – wer so einen Job hatte, konnte einem leid tun. Schweiß tropfte vom geröteten Gesicht der Wirtin auf unsere Papptellerchen. Unter ihren Achselhöhlen, auf die das ärmel- und taillenlose, wurstpellenartige Synthetikfaserkleid Einblick gewährte, sah man ein nasses, krauses Gestrüpp.
Glücklich und erwartungsfroh, als ob wir gerade bei einer Tombola den Hauptpreis ergattert hätten, balancierten Isa und ich Pommes und Fanta über die unebenen Hügel zu unserem Plätzchen. Zwischendurch wäre ich fast auf einer herren- oder damenlosen Badelatsche ausgerutscht. Ein Dackel, den jemand einfach mit ins Lochow genommen hatte, erschreckte mich damit, dass er sich an meinem Unterschenkel rieb.
Als wir uns noch den Weg zwischen den Sonnenbadenden bahnten, stolperte ich über Herrn Adán. Er saß komplett angekleidet auf einem kleinen weißen Handtuch und starrte auf seine Füße. Er trug sogar Socken! Auf seinem Schoß lag eine Zeitschrift. Er war allein. »Guck mal, Isa, der Adán!« Ich stieß sie in die Seite.
»Mein Gott, der ist ja von Kopf bis Fuß angezogen!«, rief Isa spontan aus. Als wir ihn schon nicht mehr sehen konnten, trat sie dicht an mich heran und murmelte: »Mit dieser Montur bei vierunddreißig Grad im Schatten und dieser Körperhaltun g – das ist ja fast, möchte ich sagen, eine Embryonalstellun g – ist für mich eindeutig der Beweis erbracht, dass er ein totaler Klemmi ist. Schade, dass er meiner Mutter nicht mal in die Finger kommt, du weißt doch, sie hat ein Herz für die.«
Später sah ich ihn wieder, als ich den Schachspielern zuschaute, die mannshohe Figuren auf einem zehn mal zehn Meter großen Feld bewegten. Der Adán hatte sich an den Rand gesetzt und verfolgte das Spiel ebenso wie ich. Das Magazin trug er eingerollt unterm Arm. Er sah mich und lächelte. Wie weiß seine Zähne waren. Sein Gesicht ging ganz in diesem Lächeln auf. War das jetzt rassistisch von mir?
Das Spiel zog sich hin; schon sank die Sonne, tauchte die Lochow-Wiesen in warmes Licht. Aus irgendeinem Kassettenrecorder drang Tainted Love . Der Song wurde unermüdlich zurückgespult . Ich streckte meine Beine aus. Es gab keine Eile. Es gab damals in diesem Wurmfortsatz-Berlin überhaupt keine Eile. Tainted Love . Zwei Gruppen Halbwüchsiger spielten Schach, sie waren
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