Hausers Zimmer - Roman
heranschlich, erkannte ich, dass es sich um einen Botticelli-Katalog handelte. Ich wusste, mein Vater liebte nicht nur die Neuen Wilden, sondern auch und vor allem Botticelli. Auf den vielen verrückten Vernissagen, die wir besuchten, sprach er fast nie davon, aber wer zu Hause seine hohen, bis zur Decke reichenden Bücherregale sah, ahnte, dass seine eigentliche Liebe den italienischen Renaissance-Künstlern galt.
Jetzt wagte ich es, doch etwas zu sagen: »Kla-haus, was machst du denn da?«
»Ac h … Jule. Ich komme gleich mal zu dir rüber, Kakteen anschauen, ja?«
»Ist das eine Antwort auf meine Frage?«
»Hach, was ihr für einen Tonfall am Leib hab t … Habt ihr den von uns? Von mir bestimmt nicht! Ich vergleiche eine moderne Zeichnung mit einer aus dem 15 . Jahrhundert, das wird dich nicht weiter interessieren. Ich komme gleich mal rüber, ja? Ich muss nur noch mal kurz den Specht anrufen, dann bin ich bei dir.«
»Ach, ich bin gleich mit Fiona verabredet, habe leider keine Zeit für dich. Aber Kakteenshow können wir gern am Wochenende wieder machen.«
Klaus starrte mich an. »Jule, ist alles in Ordnung?«
»Doch, natürlich. Viel Spaß beim Vergleichen dieser ›Zeichnungen‹.«
Ich wartete Klaus’ Antwort nicht mehr ab, knallte die Wohnungstür zu und war im Treppenhaus. Ich hatte gar nicht vor, zu Fiona zu gehen. Heute war ihr Batikkurstag. Also ging ich allein auf den Hof, suchte mir eine Bierdose aus einer der sieben Mülltonnen und kickte vor mich hin.
Mein Geschepper schien niemanden zu stören. Von oben wehte mich Bratkartoffelgeruch von Frau Koderitz an, etwas Blumenwasser von Pechs stets gerupft aussehenden Küchenkräutern tröpfelte auf mein schwarzes T-Shirt, hinter den Gardinen hörte ich Waldemar kläffen. Ich blickte immer wieder hoch zur Hawaiihöhle. Vom Hauser keine Spur. Irgendwo lief Ebony & Ivory . Ich konnte verstehen, dass Wiebke meinte, Paul McCartneys beste Zeiten seien vorbei.
Wir bekamen die Zeugnisse. Bei mir stand: »Sie ist sehr still, beteiligt sich kaum am Unterricht und neigt zu Tagträumereien.«
Bei Isa: »Sie ist sehr beliebt, setzt sich aktiv für schwächere Mitschüler ein und hat erfolgreich an der Waldsterben- AG teilgenommen.«
Ich las mir Isas Zeugnis durch: »Du bist erfolgreich in Waldsterben«, stichelte ich.
»Die Schwundtke kann eben kein Deutsch«, meinte Isa über unsere Klassenlehrerin, die gleichzeitig Deutschlehrerin war. Als Steffen zu mir kam, warf Isa mir einen langen, bedeutungsvollen Blick zu.
Zu Hause meckerten Wiebke und Klaus nicht an meinem Zeugnis herum. Sie waren beruhigt, dass ich a) in Kunst wenigstens eine Zwei hatte und b) versetzt worden war. An Falks Zeugnis gab es wie immer nichts auszusetzen (nur in Sport hatte er wegen Schwänzen eine Sechs, die seinen Notenschnitt empfindlich senkte), dieses Mal hatte er auch in Latein eine Eins. Mein Bruder vertrat seit kurzem die Ansicht, man solle nur noch tote Sprachen in der Schule lernen, Englisch und Französisch seien langweilig.
»Die lateinische Sprache ist ein Gedicht! De mortuis nil nisi bene! « Falk lächelte, dann hantierte er an seinen Kopfhörern herum.
»Wie machst du das nur, in Chemie immer eine Eins zu haben?«, wollte ich von ihm wissen.
Falk warf mir einen herablassenden Blick zu. »Chemie ist abgedreht. Einfach spannend. Wildes Zeugs! Nichts, kein Traum und kein Trip, ist abgedrehter als die Realität! Du musst dich da halt richtig reindenken.«
»Das versuche ich ja, aber ich werde trotzdem immer von Knecht angemecker t … und kriege immer nur eine Vier.«
Falk fuhr fort, während er sich eine Zigarette drehte: »Du nimmst das viel zu persönlich mit den Lehrern und so. Mir gehen die alle am Arsch vorbei. Ich kann mir kaum deren Namen merken. Mich interessieren einfach die Sachen so an sich. Ich blende die menschliche Scheiße der Lehrer aus, wenn ich mich mit rotierenden Elektronen beschäftig e … Das ist das Allerallerwichtigste, Jule: die menschliche Scheiße ausblenden.« Diesen Tipp würde ich für das nächste Schuljahr beherzigen.
Beim Abendbrot sprachen unsere Eltern mit Falk und mir über die vor uns liegenden Sommerferien. Wiebke und Klaus waren sichtlich gestresst wegen des bevorstehenden Familienbesuchs. Als ich in die Küche schlurfte, hörte ich Wiebkes mahnende Stimme: »Du solltest diese Multivitamintabletten schon nehmen, du bist in letzter Zeit oft schlecht dabei, bist unkonzentriert, hörst einem nicht richtig zu. Irgendwie kommst
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