Hausers Zimmer - Roman
Leute die DKP und liebäugeln mit dem Sozialismus von drüben. So etwas verstehe ich einfach nicht, das sind für mich keine Berliner, jedenfalls keine echten. Wer so denkt, soll rübergehen und nicht uns auf der Tasche liegen!«
»Du verdrehst die Tatsachen, Helene. Unabhängig davon, was man nun im Einzelnen über die DKP denkt und wie grundsätzlich man den Osten ablehnt: In Berlin wählen acht Prozent der Bürger der DKP , das weiß ich zufällig. Also kannst du darauf nicht deine ganze überzogene Abenteuerspielplatzthese aufbauen, so ein Unsinn. Ich zum Beispiel wähle nicht die Kommunisten und bin trotzdem der Ansicht, dass Berlin kein toter Ort, sondern die lebendigste Stadt Deutschlands ist!«
»Ja, dieser Berlinpatriotismus der Zugezogenen, das ist so ein Phänomen für sich. Diese abartige Liebe der Neuankömmlinge, für die Berlin immer noch, ob sie’s zugeben oder nicht, in erster Linie eine Nische zur Befriedigung ihrer narzisstischen Bedürfnisse is t – mit dieser selbstbezogenen Haltung haben sie den Charakter der Stadt, ihre Geschichte, noch lange nicht begriffen. Oft wissen sie erbärmlich wenig über die Stadt, die sie angeblich so lieben. Eine ignorante, kenntnislose, oberflächliche Liebe ist das. Ich liebe Berlin nicht so abgöttisch wie du, die Stadt ist einfach ein Teil von mir, und ich sage dir, die Stadt war, abgesehen vom Krieg, noch nie in einem so desolaten Zustand wie jetzt!«
»Es hat keinen Sinn, mit dir zu diskutieren, Helene, weil du mich, stellvertretend für andere so genannte Neuberliner, von vornherein nicht ernst nimmst und dein höheres Alter als Totschlagargument einsetzt. Dazu sei gesagt, dass ich mittlerweile beinahe zwanzig Jahre hier lebe und mich vielleicht mit der gleichen Berechtigung wie du als Berliner bezeichnen dar f – du lebst schließlich seit fast vierzig Jahren nicht mehr hier und hast vielleicht vom vergangenen Berlin, nicht aber vom gegenwärtigen irgendeine Ahnung.«
Nach diesem Gegenangriff meines Vaters umspielte Helenes Lippen ein amüsiertes, wenngleich ein wenig müdes Lächeln. Dann sagte sie überaus freundlich: »Respekt, Wiebke. Es ist dir gelungen, einen ganz intelligenten Mann an deiner Seite zu halten. Und langweilig ist er auch nicht. Nur eben noch recht jung.«
Vielleicht spielte Helene auf die Tatsache an, dass Wiebke zweieinhalb Jahre älter war als Klaus, aber vermutlich war Klaus aus ihrer Perspektive einfach immer jung. Auch wenn sie hundert Jahre alt und er Anfang sechzig sein würd e – kein utopisches Szenario bei ihrer Konstitution.
Am nächsten Morgen in aller Frühe brachten Wiebke und ich Helene zum Bahnhof Zoo. Oma Helene schüttelte beim Anblick des Bahnhofs den Kopf: »Lehrter Straße, Anhalter Bahnhof, der Bahnhof Frankfurter To r – das waren richtige Bahnhöfe mit Stil! Ihr wisst ja gar nicht, wie Berlin vorm Krieg ausgesehen hat.«
Kurz durchzuckte es mich, dass sie damit Recht haben könnte. Es nervte mich schon seit langem, immer das Gefühl vermittelt zu bekommen, die beste Zeit in meiner Heimatstadt verpasst zu haben. Wertheim am Leipziger Platz! Das Kaufhaus Tietz! Der Potsdamer Platz! Unter den Linden! Alles war größer, mondäner, tolle r – und das meiste lag für uns auch noch hinter der Mauer.
»Dieses Ding da«, Helene zeigte erbost auf den Bahnhof Zoo vor uns. »Ich hoffe nicht, dass man in dreißig Jahren hier noch einfährt, wenn man aus Westdeutschland kommt.«
»Dann fährt man eh in Moskau ein«, antwortete Wiebke genervt. »Und Berlin-Zoo ist ein kleiner Provinzbahnhof, ebenso wie die Bahnhöfe in Warschau, Budapest oder Prag.«
Leider dauerte es nach diesem wenig herzlichen Gespräch ewig, bis wir einen Parkplatz fanden. Wir schwiegen, nur ab und zu fluchte Wiebke beim Rangieren. Oma Helene hatte keinen Führerschein, warf Wiebke aber in einem fort Blicke zu, als ob sie sich ihrer Meinung nach sehr dumm anstellen würde. Ihre Hände lagen gefaltet auf ihrem Schoß, den Kopf hatte sie starr nach oben gereckt. Sie fixierte den dunklen schmuddeligen Bahnhof Zoo voller Hass. Er schien ihr die Verkörperung der sterbenden Stadt zu sein.
Auf dem Bahnsteig drückte sie mich kurz an sich, dann, zu meiner Überraschung, öffnete sie einmal kurz ihre Handtasche und gab mir ein kleines Kästchen: »Öffne es erst später, zu deinem Geburtstag oder so. Ich wollte es eigentlich mal Wiebke schenken, aber ich glaube, du wirst dich mehr darüber freuen. Du bist eine so liebe, ernsthafte junge Frau. Es
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