Hausers Zimmer - Roman
mit zunehmender Reife, dass der schiere Besitz eines Motorrads nicht jedes Frauenherz brich t …« Er redete absichtlich so, um mich zu ärgern. Natürlich ärgerte ich mich.
Die Frau an Hausers Seite winkte einen Kunstkritiker und einen Kurator, die ich beide vom Sehen kannte, mit einladendem Lächeln zu sich. Eine Gruppe gackernder Frauen schob sich zwischen uns, aber ich schnappte noch »Schüler von Cy Twombly im Geiste« auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie vor einem Gemälde von Twombly stand.
Falk und ich gingen in die Cafeteria. Es konnte noch Äonen dauern, bis Wiebke und Klaus wieder auftauchten. Äonen war gerade eines meiner neuen Lieblingsworte geworden. Alles schien damals Äonen zu dauern: Bis der Hauser nachts nach Hause kam, bis ich ihn wiedersah, bis ich erwachsen sein, bis ich mein Abi haben würde, bis das Rattenloch eines Tages doch zugebaut, das Lochow renoviert werden, die Maue r – unvorstellba r – nicht mehr stehen würd e – Reagan, Breschnew, Thatcher, sie würden noch Äonen regieren, zweifellos.
Als wir wiederkamen, saß Frau Koderitz immer noch mit Fred auf dem Bordstein. Sie teilten sich einen Hamburger. Wiebke machte ein angewidertes Gesicht, aber wie ich bald in Erfahrung bringen sollte, weniger wegen Fred.
Wale, Schafe, Antilopen – ein Falk
Als ich an einem sonnigen Freitag im Oktober von der Schule nach Hause kam, traf ich auf eine vollkommen aufgelöste Wiebke und eine ebenso aufgelöste Anna. Beide umarmten mich dramatisch in der Tür und bugsierten mich dann wortlos in die Küche: Eine wichtige Unterredung stand an. Im ersten Moment hatte ich aufgrund des panischen Gesichtsausdrucks der beiden kurz in Erwägung gezogen, ob es einen Atomunfall gegeben haben könnte. Abgesehen von Wiebkes herumrollendem Sitzball, der um ein Haar den Gummibaum von seinem Tischchen gefegt hätte, machte unsere Wohnung aber einen normalen Eindruc k – falls das Adjektiv »normal« je zu dieser Wohnung passen konnte. Wiebke bedeutete mir, dass ich mich setzen solle. Anna fing sich den Sitzball ein.
Welche Geistes- oder Filmgröße war diesmal gestorben? War die Kongresshalle etwa wieder eingestürzt? Oder diesmal das ICC ? Ich setzte mich Wiebke gegenüber. Anna rollte im Hintergrund herum, dabei machte sie eine konzentrierte Miene, als würde sie über ein wichtiges Problem nachsinnen, das sich auf dem Sitzball besser als an jedem anderen Ort lösen ließ.
Wiebke sah mich bedeutungsschwanger an, schloss die Augen, als würde sie sich sammeln, brach dann aber in einen konfusen Redeschwall aus. Es sei unglaublich, was in diesem Land passiere. Wir würden uns einbilden, ein zivilisiertes Land zu sein, von wege n – ein Verbraucherbetrug sondergleichen, unglaublich, sie sei einfach fassungslos!
Ich stöhnte leise auf. »Worum geht es denn?«
»Du weißt noch von nichts?«
»Offenbar nicht. Mea maxima culpa .« Das hatte ich natürlich von Falk.
»Hach, Kin d – das ist der größte Fleischskandal in der Geschichte der Bundesrepublik!«
»Aha. Klingt unschön.«
Ich stand auf, um mir eine Ahoj-Brause zu machen. Die würde ja wohl nicht vergiftet sein. Die vielen Es hatten mir zumindest bisher nicht geschadet. Oder vielleicht doch? Schließlich war ich süchtig nach Brause, mindestens so süchtig wie Christiane F. nach ihrem Stoff. Ich stellte unser Radio an, aber Wiebke drehte den Ton leise. »Hör zu: Die Polizei ermittelt in mehreren Bundesländern gegen Fleischhändler wegen Betruges und Verstößen gegen das Lebensmittelgesetz! Seit 1980 solle n … Julika, hör dir das a n – seit 1980.«
»Das sagtest du schon.«
Ich wunderte mich nur, welche Autorität die Polizei, über die Wiebke sonst kein gutes Wort verlor, plötzlich besaß. Die Polizei ermittelt!
»Sei nicht so spitzfindi g! Also seit 198 0 … sollen eine Million Kilo Esel-, Maulesel- und Pferdefleisc h … von nicht zugelassenen Schlachthöfen i n … w o …« Wiebke wühlte in ihrer Zeitung. »Hier steht es doch: Brasilien, Kanada, Marokko und Urugua y … als Rind und Schwein verkauft worden sein.« Sie fuhr fort, während sie Tee wegwischte, den sie beim heftigen Gestikulieren auf der Tischplatte verschüttet hatte: »Auch über 100.000 Kilogramm Antilopen- und Blauschaffleisch aus Chin a – als Rind- und Schweinefleisch deklarier t – sind nach Deutschland gelangt, hierhin, zu uns auf den Tisch!« Wiebke trommelte auf den Tisch und sah mich auffordernd an. Offensichtlich erwartete sie eine teilnehmende
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