Hausers Zimmer - Roman
nicht? Es wird bestimm t …« Ich überlegte, welche Beschreibung meine Oma locken könnte. Lustig? Nein. Interessant? Schon eher.
»Geistvoll«, sagte ich schließlich.
Da glitt ein ironisches Lächeln über Oma Helenes Lippen. »Danke, Julika. Ich weiß, du meinst es gut. Aber ich habe das Gefühl, das Stück wird mich langweilen. Du hast ja Fiona dabei, ihr braucht mich nicht. Ich habe hier diesen wunderbaren Führer über die Museumsinsel und lese ein bisschen darin. Das Stück wird eines dieser üblichen modernen Stücke ohne Handlung und ohne Tiefgang sein.«
Leider fiel mir darauf keine Antwort ein. Fiona und ich gingen in den dunklen Raum, in dem schon einige Leut e – Kinder und Erwachsene gleichermaße n – herumtobten. In dem Stück ging es wieder um Ausländer, Ausgrenzung und Armu t – und ich ärgerte mich doch, dass Oma Helene nicht mitgekommen war. Aber es wäre ihr zuzutrauen, dass sie ihre Meinung während der Aufführung kundgetan hätte. Als einer der Schauspieler mit nacktem Oberkörper über die Bühne rannte, musste ich wieder an Herrn Adán denken. Ich ergriff Fionas Hand, und sie drückte sie automatisch. Der Trost half, auch ohne dass Fiona wusste, was mich beschäftigte.
An Oma Helenes letztem Abend in Berlin lungerten wir nach dem Essen gemeinsam herum. Klaus und Wiebke lagen auf der Lieblingssofalandschaft, Falk und ich auf dem Boden, Oma Helene bekam ein Biedermeierstühlchen mit zwei Kissen. Wiebke fragte ihre Mutter: »Und, wie waren so deine Eindrücke von Berlin?«
Viel Zeit hatten sie nicht miteinander verbracht in den vergangenen fünf Tagen.
Helene sah ihre Tochter unverwandt und wie immer selbstbewusst, beinahe kühn, in die Augen: »Ihr lebt in einer sterbenden Stadt«, sagte sie dann. Und: »Ich fand Berlin nicht mal ’45 trauriger als jetzt.«
Das war natürlich eine Provokation, ernst gemeint haben konnte sie das nicht. Mit diesem Satz war die Harmonie zwischen Klaus und ihr jedenfalls wieder zunichtegemacht.
»Helene, wie kannst du so etwas sagen? Nachdem du tagelang die unglaublich lebendige Kulturszene gesehen has t – du warst in der Nationalgalerie, im Kupferstichkabinett, im Kunstgewerbe-, im Brückemuseum, in der Deutschen Oper und mit Julika im Grips -Theater!«
Ich verkniff mir gerade noch die Bemerkung, dass Oma Helene nicht mit mir im Grips , sondern nur vorm Grips gewesen war.
Helene sah Klaus mit etwas mehr Respekt als Wiebke an, wie mir nicht entging. Mir kam der Gedanke, dass sie allgemein Männer mehr respektierte als Frauen und wahrscheinlich lieber einen Sohn als eine Tochter gehabt hätte.
»Mein lieber Klaus«, begann sie, »natürlich gibt es wunderbare Museen in Berlin, wie es auch in anderen Städten bedeutende Sammlungen gibt.«
Klaus wurde rot vor Wut.
»Aber das kann sich der Staat nicht mehr lange leisten. Diese Berlin-Zulage, das alles. Diese isolierte Stad t – das ist doch ein absurdes Konstrukt. Glaubst du, der Russe guckt sich das noch weitere dreißig Jahre lang an? Würden die Amerikaner wirklich einen Krieg für Berlin führen? Und wenn es einen Atomkrieg gibt, dann lebt ihr erst recht in einer sterbenden Stadt. Diese Stadt hat keine Perspektive, ihr werdet sehen.«
»Ich glaube nicht, dass die Amerikaner den Russen Berlin so ohne Weiteres überlassen werden«, brachte Klaus mit gepresster Stimme hervor. »Im Übrigen haben sie schon mal sehr viel für die Stadt geta n …«
»Komm mir nicht mit der Luftbrücke!«, fuhr Helene Klaus an. »Die habe ich selber noch erlebt. Aber das war eine andere Zeit. Glaub nicht, dass die Amerikaner das nächste Mal die ganze Stadt wieder mit ein paar Flugzeugen halten können! Der Russe ist schwerfällig, träge und geduldig. Sehr geduldig. Er hat ein anderes Zeitmaß als wir. Und wenn er eines Tages West-Berlin einnimmt, dann müssten die Amerikaner Bodentruppen schicken.«
»Wir sind NATO -Mitglied, die Bodentruppen müssten nicht aus Texas angeritten kommen.«
»Niemand wird für Berlin einen Dritten Weltkrieg riskieren, niemand. Diese halbe Stadt, dieser Rumpf, diese Insel hier ist auf die Dauer nicht zu halten. Wer soll denn das bezahlen? Habt ihr Abenteuerkinder euch mal überlegt, was ihr den deutschen Steuerzahler kostet? Dafür, dass ihr hier ein bisschen dies und das macht? Euch selbst auslebt? Wir füttern hier eine Stadt durch, deren Bewohner an Gedächtnisschwund leiden. Was wir hier mit den Russen erlebt habe n – und hier, ausgerechnet in Berlin, wählen die meisten
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