Hausers Zimmer - Roman
ist ein Glücksbringer von meiner Mutter, deiner Uroma«, sagte Oma Helene und sah mich, wie immer, fest an.
Ich war sehr neugierig, was das kleine dunkelblaue Samtkästchen enthielt. Mein Geburtstag war erst in fünf Woche n – so lange hielt ich es einfach nicht mehr aus. Als ich das Kästchen öffnete, ging mir der Mund auf vor Erstaunen: In dem Kästchen lag ein goldener Salamande r – eine Brosch e – mit funkelnden grünen Augen aus Edelsteinen. Der Salamander sah unglaublich lebendig aus, er hatte angewinkelte Beine und reckte den schuppigen Hals mit dem großen Kopf und den gebleckten Zähnen hervor. Das ließ ihn vital und angriffslustig aussehen. Eine tolle exotische Echse! Doch das Geschenk verwirrte mich; ich war nicht glücklich über diese Gabe. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich alle um mich herum betrogen und sei, ohne es zu wollen, in eine Falle getappt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Wiebke, der ihre eigene Mutter solch ein schönes und sicher wertvolles Geschenk (später sollte ich erfahren, dass die Augen des Salamanders Smaragde waren) vorenthalten hatte. Gleichzeitig hatte ich Oma Helene gegenüber ein schlechtes Gewissen, die merkwürdigerweise in mir eine »liebe, ernsthafte junge Frau« gesehen hatt e – diesen Eindruck würde ich schnell genug zunichtemachen können. Was sie wohl über mich dächte, wenn sie mich im Rattenloch herumstromern oder bei meinen Hauser-Beobachtunge n – mit Ferngla s – erwischen würde? Dieser Salamander war ein gefährliches Geschenk, möglicherweise ein Unheil stiftende s – was sollte ich denn sagen, wenn ich mir die Brosche ansteckte und Wiebke oder Klaus fragen würden: »Von wem hast du das ?«
Ich verschloss den Salamander in der obersten Schublade meines Schreibtischs.
Irgendetwas musste passieren, bevor ich ihn wieder zum Leben erwecken konnte. Vielleicht wäre das erst möglich, wenn Oma Helene nicht mehr lebte. Oder ich nicht mehr bei meinen Eltern und freier von allem und allen sein würde. Vielleicht.
In dieser Nacht konnte ich überhaupt nicht schlafen.
Zeitgeist – Äonen
Am nächsten Morgen sah ich Erwin und Karl aus der Peepshow kommen. Sie gingen danach nicht zu Domingo oder Chapeau! , sondern legten sich auf der Uhlandstraße in eine Hofeinfahrt und blickten die Passanten bittend an.
Aus einem vorbeifahrenden Auto dröhnte There’s something going on , der neue Solohit von Abba -Mitglied Frida. Dieser Song mit seinem düsteren Schlagzeug und dem melancholischen Gesang gefiel mir. Er wurde in diesem und in den nächsten Jahren noch oft gespielt und wurde zu so etwas wie einer unterschwellig zu hörenden Stimme, die immer wieder warnte: There’s something going o n … on… Frida sang: A good thing must come to an end , und selbst der Abba -Sound war nicht mehr spaßhaft oder romantisch-verkitscht wie noch in den Siebzigern, sondern rau und ernst.
Nach der Schule meinte Klaus, dass wir heute unbedingt zu einer Eröffnung mitkommen sollten. Zeitgeist heiße die Ausstellung, und sie solle »sehr gewagt« sein. Falk murmelte irgendetwas von einem Konzert, bei dem er noch mal abchecken müsse, ob es heute oder nächste Woche stattfinde, mir fiel leider nicht schnell genug eine Ausrede ein.
Abends band mein Vater sich seine wildeste Krawatte um, dann setzten wir uns in den Scirocco und fuhren los. Vor der Haustür trafen wir noch Fred und Frau Koderitz, die mit einer Wodkaflasche auf dem Bürgersteig saß und mit sich selbst redete. Nur Falks Anblick riss sie aus ihren Gedanken: »Der is so lang, dassa aus de Rejenrinne trinken kann.«
Falk war doch mitgekommen, Klaus hatte ihm über die Schulter geschaut, als er in der Zitty nach dem Datum des Konzerts blätterte. Er hatte sich mit den Wochentagen vertan. Die Ausstellung fand im Martin-Gropius-Bau statt; Hunderte von Menschen, viele davon in Schwarz gekleidet wie bei einer Beerdigung, drängelten sich vor dem Eingang. Damals war der Haupteingang wegen der zum Greifen nahen Mauer nicht benutzbar, man ging durch einen neu geschaffenen Eingang an der einstigen Rückseite.
Kaum hatten Wiebke und Klaus einen Fuß aus dem Auto gesetzt, stürzten sich schon einige Leute auf sie. Ein Mann, er war riesig und dick und trug einen roten Zylinder, küsste meinen Vater zweimal zärtlich auf die Wange. Eine kleine Japanerin hatte einen lebendigen Vogel auf der Schulter sitzen, den sie »Hannibal« nannte. Wiebke tat so, als fände sie »Hannibal« entzückend. Wenn Oma Helene
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