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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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oder rechts zu schauen, wie eine riesige Wolke auf mich und andere Passanten zustürmte. Falk behauptete einmal, es gäbe keine Straße in Berlin mit derart vielen Matratzengeschäften wie den Kottbusser Damm. Nach dem frontalen Zusammenstoß gab es allgemeines Gekreische und Gelächter, als wir uns alle aus den Deckenbergen befreiten. Klaus würde sich aufregen, wenn sein Bettzeug auf dem Straßenboden läge, aber die Familie blieb gelassen. Beim Weitergehen erahnte ich aus dem Augenwinkel schon die nächste Kollision.
    Als ich, zurück in Wilmersdorf, vom U-Bahnschacht auf die Straße trat, sah ich schon von Weitem das rote A leuchten. Ich gab mir einen Ruck: Heute, an meinem Geburtstag, würde ich Herrn Adán besuchen. Fast drei Monate waren seit der Hochsommernacht im August vergangen.
    Etwas mulmig fühlte ich mich schon. Ich überlegte mir, wie ich gleich Herrn Adán gegenüberstehen würde, wie ich ihn angucken, was ich sagen sollte. Höchstwahrscheinlich waren andere Kunden da. Vielleicht konnte ich gar nichts anderes tun, als Traubenzuckerdrops zu kaufen. Vielleicht stand er aber auch allein da, und sein Blick durchbohrte mich auf dem Weg von der Tür bis zur Thek e … Das große rote A rückte näher und näher. Ich hatte erwartet, kurz vor der ersten Wiederbegegnung mit dem Adán sehr aufgeregt zu sei n – nicht ohne Grund hatte ich diesen Tag so lange hinausgezöger t –, aber seltsamerweise wurde ich nur traurig. Als ich vor der Tür stand, erfasste mich solch eine immense Schwermut, dass ich schnell ein Bild, eine Farbe für sie suchen musste, um nicht zu verzweifeln. Ich dachte an das tiefe Blau des Marianengraben in meinem Atlas, das Elftausendmeterblau, und wusste, das ist meine Adán-Trauer, dort kann ich sie aufbewahren und immer wieder finden.
    Als ich auf die weiche, schwarze Fußmatte vor der Apotheke trat, fiel mir sofort auf, dass die übliche Melodie nicht mehr erklang. Vielleicht war der Mechanismus kaputt.
    Ich war die einzige Kundin. An der Theke stand ein junges Mädchen mit Pferdeschwanz und rosa Rollkragenpullover unter dem weißen Kittel, das ich noch nie hier gesehen hatte. Von hinten trat nun die Chefin hervor, die sonst wenig mit den Kunden sprach. Ich kam kaum zum Luftholen, da wollte sie schon wissen, was sie für mich tun könne.
    Meine Frage nach Herrn Adán schien ihr nicht zu behagen. »Der arbeitet nicht mehr hier.«
    »Aha, warum?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Wo arbeitet er denn jetzt?«
    »Der arbeitet hier nicht mehr, sagte ich doch schon. Kann ich etwas für Sie tun, junge Frau?«
    »Nein.« Seufzend wandte ich mich um. Auf die Idee, dass er einfach nicht mehr hier sein könnte, war ich nicht gekommen. Als meine Hand schon auf der Klinke lag, drehte ich mich noch einmal um: »Falls Sie ihn doch sehen sollten, grüßen Sie ihn bitte von Julika Zürn.«
    »Der ist hier nicht mehr, sind Sie schwer von Kapé?«
    »Sie wollen mir nicht antworten«, gab ich zurück.
    Die Chefin geriet aus dem Häuschen. »Der tickte nicht mehr richtig, verstehen Sie?«
    »Nei n …« Ich wollte so viel wie möglich von ihr in Erfahrung bringen.
    »Nein? Sie ticken wohl auch nicht richtig, habe ich langsam den Eindruck!«, herrschte die Dame mich an.
    Ich machte auf dem Absatz kehrt, ohne für Herrn Adán noch ein gutes Wort einzulegen. Hinter mir setzte ein Tuscheln ein.
    Später ging ich ins Rattenloch. Heute war niemand dort. Seit langem mal wieder nahm ich auf der Waschmitteltonne Platz. Ich heulte. Nach einer Weile zündete ich mit meinem Amnesty-Feuerzeug die Altarkerze, die ich vorhin auf der Oranienstraße gekauft hatte, für den Adán an. Als die Flamme trotz Nieselregen sofort anfing zu flackern, musste ich an die Narben denken, die so aussahen, als würden sie von Zigaretten herrühren. Und dann fielen mir zwei Strophen eines Enzensberger-Gedichts ein, das Klaus mehrfach Heiligabend vor dem hell erleuchteten Weihnachtsbaum wiedergegeben hatte.
    Dieses Feuer beweist nichts,
es leuchtet, bedeutet:
dort ist ein Feuer

Weiter bedeutet es nichts.
Weiter verheißt es nichts.
Keine Lösungen, keine Erlösung.
    Keine Lösungen, keine Erlösun g … Ich dachte voller Inbrunst, nein Ingrimm, an Hawthornes The Scarlet Letter , das wir in Englisch gelesen hatten, und den Buchstaben A und den Kuss auf meiner Stirn und A wie Adultery und unerlaubte Nähe, zu große Nähe und das große rote A und sein Leuchten auf der Joachimstaler und das Foto von der Frau vom Adá n … Wo er

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