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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Begründung, das Ganze sei auf Aufständische zurückzuführen.
    Auf allen anderen Kanälen ging es um die Reichskristallnacht. In einem Beitrag wurde berichtet, was sich bisher alles schon an einem 9 . November zugetragen hatte: Von der offiziellen Beendigung der Französischen Revolution durch Napoléon Bonapartes Staatsstreich 1799, dann natürlich 1918 der Novemberrevolution und, ebenfalls an einem 9 . November, 1923 die Niederschlagung des Hitler-Ludendorff-Putsches bis hin zur schrecklichen Reichskristallnacht. Dann erfuhr ich auch, dass die Tupamaros West-Berlin am 9 . November 1969 eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus gelegt hatten. Das war ja ein netter Schulterschlag von den Linksradikalen zu den Nazis damals. Die Bombe explodierte zum Glück nicht.
    Klaus hatte die ganze Zeit, während er seine blonden Strubbelhaare in Form brachte, zugehört. »Dieser Beitrag ist mir zu oberflächlich. Was soll das, alle Daten nur so anzureiße n …« Er stellte einen anderen Sender ei n – wieder ging es um das Massensterben in Afghanistan. Wiebke und Klaus machten ihr strenges »Kinder-seid-ruhig!«-Gesicht, das sie seit unseren Kleinkindertagen unverändert beibehalten hatten. Es bedeutete, dass Falk und ich uns eigentlich nicht bewegen durften. Erst als der Werbeslogan: »Gut, dass es McDonald’s gibt« erklang, wurde das Radio ausgeschaltet.
    »Das Land kann sich erst beruhigen, wenn die Sowjets weg sin d – dann wird sich da eine prowestliche Stimmung breitmache n –, nach den Jahren der kommunistischen Besatzung wird man sich zum Westen hin orientieren«, meinte Wiebke.
    »Ich denke auch, Afghanistan hat die besten Chancen, ein enger Verbündeter des Westens zu werden«, stimmte Klaus zu. »Außerdem ist es eh von den Ressourcen her ein wohlhabendes Land, vielleicht wird das so eine Art Tigerstaat in der Regio n – wenn nur erstmal die Sowjets weg sind!«
    »Das Land wird reicher als die Golfstaaten«, behauptete Falk.
    Wir sahen ihn verblüfft an.
    »Opium«, triumphierte er. »Das ist das Öl der Zukunft. Daran verdienen die sich noch dumm und dämlich. Das Wort Ölscheich wird von dem Wort Opiumbauer als Inbegriff des Reichtums abgelöst werden.«
    Ich überlegte, ob nicht irgendeine abgelegene Hochebene in Afghanistan ein viel schöneres Reiseziel als Patagonien sein könnte. Der Hauser und ich in Afghanista n … vielleicht ein echter Euph traum.
    Nachts stand ich vorm Fensterbrett und schaute auf die Hawaiitapete mit den Anarchozeichen, den Kritzeleien und den Sprüche n – kein Hauser, kein neues Bild, nichts.
    Als ich mich am nächsten Tag frisch geduscht und gut gelaunt in die Küche begab, war das erste, was Wiebke sagte: »Breschnew ist gestorben.« Dann, nach einem langen Schweigen: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Julika.«
    Klaus stand im Flur und umarmte mich mit gequältem Gesichtsausdruck. Während er mir gratulierte, hielt er sich sein Miniradio ans Ohr.
    Anstatt zur Bushaltestelle auf dem Ku’damm zu gehen, fuhr ich mit der U-Bahn zum Kottbusser Tor und ging allein in der Oranienstraße frühstücken. Ich kam mir erwachsen vor, wie ich mir eine taz kaufte, Zeitung lesend mein Ei aufschlug und Brötchen aß. Andere saßen in der Schule herum und verblödeten, ich nahm mir frei. Einem Obdachlosen gab ich eine Mark, einem Rucksackverkäufer kaufte ich eine elfenbeinfarbene Altarkerze ab, einem bettelnden Kind schenkte ich eine Minitüte Haribo, die ich in meiner Jackentasche fan d – an meinem Geburtstag wollte ich großzügig sein. Später ging ich noch in einen Armyladen und kaufte mir ein olivgrünes Hemd mit Brusttaschen. Eigentlich gefiel es mir in Kreuzberg besser als bei meinen Eltern in Wilmersdorf, aber Wiebke und Klaus hatten klargestellt, dass Falk und ich auf keinen Fall ausziehen dürften, bevor wir nicht unser Abi gemacht hatten. Und das konnte ja noch Äonen dauer n – Prost! Ich kaufte mir eine Dose Mineralwasser, schüttete Ahoj-Brause hinein und leckte den sprudelnden Schaum von der Dosenöffnung ab. Dann kickte ich die Dose bis zum Kotti. Ich nahm mir vor, immer so zu kicken, dass die Dose genau auf der Mitte des Pflastersteins zum Liegen kam und nicht etwa auf dem Rand. Es klappte fast immer. Morgen bin ich wirklich Rummenigg e …
    Kurz bevor ich in den U-Bahnschacht hinunterging, hatte ich einen lustigen Zusammenstoß mit einer türkischen Familie, die offenbar gerade mehrere Matratzen und Daunendecken am Kottbusser Damm gekauft hatte und, ohne nach links

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