Hausers Zimmer - Roman
Reaktion von mir.
»Jaja, ich hab schon verstande n …«, murmelte ich. Das war natürlich nicht die gewünschte Antwort. Im Hintergrund hörte ich » … Pal mit fünf Sorten Fleisch. Von erfolgreichen Züchtern empfohlen.« Entschlossen stellte Wiebke das Radio ganz aus. »Fleisch aus China hier bei uns! China, weißt du, was die mit dem Fleisch machen? Hunde und Katzen kommen da auf den Tisch!«
»Und Antilopen und Blauwalfleisc h «, konnte ich mir nicht verkneifen. Ich hatte aber nicht richtig zugehört, Wiebke fiel mir ins Wort: »Blauschaffleisch!«
Bedrohlicher klang für mich eigentlich Blauwalfleisch als Schaffleisch, wo unsereins doch gern Schafskäse aß und Schafe überhaupt vertrauenerweckend, zumindest nicht gerade giftig aussahen.
Wiebke und Anna vertieften sich noch in Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Berechnungen darüber, wie viel die Betrüger verdient hätten. Selten hatte ich die beiden Worte wie »verhaftet« und »sichergestellt« mit solch einer Inbrunst aussprechen hören.
Jemand schlurfte den Flur entlang und rülpste vor sich hin, das konnte nur Falk sein. Mein Bruder hob den Blick nicht, als er die Küche betrat. Seine blauschwarze Mähne verzottelte zunehmend. Er begrüßte alle mit einem kaum sichtbaren Kopfnicken und nahm sich ein Wassereis aus dem Gefrierfach. Nun wurde der ganze Skandal noch einmal wiedergegeben, obwohl der Adressat reichlich wenig Gesprächsbereitschaft signalisierte.
Als Falk sich ein paar Scheiben Salami aus dem Kühlschrank nahm, murmelte er unter einem Falkschen Gähnen: »Hm, lecker Blaues Schaf.«
Ich sah, wie sich Wiebke und Anna kopfschüttelnd anschauten mit diesem Blick, den ich nicht leiden konnte. Er besagte nämlich: »Hach, Teenager!«
Als Wiebke mit Nachdruck erwähnte, dass wir letzte Woche Sonntag Wild gegessen hatten, meinte Falk nur: »Wenn kein Mensch das bemerkt hat, und es allen Leuten quer durchs Land « – er machte eine pathetische Gest e –»gemundet hat, verstehe ich die Aufregung nicht. Man sollte öfter Antilope importieren. Warum gilt das eigentlich nicht als Delikatesse? Was habt ihr bloß gegen Antilopen?«
Einen Moment lang war alles still, nur der Sitzball quietschte vor sich hin. Dann warfen sich Wiebke und Anna wieder diesen Blick zu.
Später würde Wiebke zu mir sagen, dass ich wohl gerade in meiner Anti-Phase sei. Dabei schien diese Phase bei ihr selbst schon lange anzuhalten.
Am gleichen Tag, am 22 . Oktober 1982, kam der Film Die Spaziergängerin von Sans-Souci mit Romy Schneider in ihrer letzten Rolle in die Kinos. Wiebke und Klaus gingen zum Filmstar t – und ich wusste, auf eine ganz bestimmte, melancholische Art würden sie danach mit sich und der Welt im Einklang sein.
Abends fuhr Falk nach Charlottenburg, um sich dort mit Christian Blade Runner anzugucken, der seit ein paar Tagen lie f – ich war beleidigt, dass er mich nicht gefragt hatte, ob ich mitkommen wollte. Das besetzte Haus, in dem Christian wohnte, hätte ich gern von innen gesehen. Aber Falk winkte ab: »Das ist kein Zoobesuch, puzzle du mal nur weiter deine Pinguine. Die mit dem Iro finde ich übrigens nicht schlecht.«
Spätabends klingelte wieder das Telefon. Klaus stöhnte auf. »Das sind irgendwelche Künstler, die mir ihren Krempel andrehen wollen! Kann ich nicht mal nachts Ruhe in meinem Denkraum haben?«
»Am besten wir stellen das Telefon da rein, dann musst du nicht immer erst durch die halbe Wohnung laufen«, schlug Falk vor.
Klaus zog Falk an einem Ohrläppchen: »Haaach, du neunmalkluger Quälgeist!« Mit einer kleinen Handbewegung fegte Falk Klaus’ Hand weg. Klaus blickte weiter zu ihm hoch: »Jetzt bist du schon fast zwei Köpfe größer als ic h … was wohl mal aus dir wird?«
»Ein Falk, wenn es recht ist. Und der bin ich schon.«
Geburtstag – Leuchtfeuer
Beim Frühstück mit Falk war ich aufgekratzt. Morgen hatte ich Geburtstag! Vorfreude ist doch die schönste Freud e … Als Wiebke das Radio anschaltete, prasselte nach dem Werbeslogan »Leckerschmecker schmeckt so lecker, weil Leckerschmecker länger schmeckt« die Nachricht eines Massensterbens auf mich ein: Im Salang-Tunnel, der den Hindukusch unterquert, hatte es einen Unfal l – oder Anschla g – gegeben, bei dem über eintausend Menschen umgekommen waren. Sowjetische Offiziere hatten den Tunnel, in dem sowjetische Militärkonvois und afghanische Lkws zusammengeprallt waren, abgesperrt und alle Menschen darin verbrennen lasse n – mit der
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