Hausers Zimmer - Roman
zu gehen wie an anderen lustigen Wandertagen, mussten wir mit Marmeladengläsern Wasser schöpfen und das nachher bei Herrn Piontkowski unterm Mikroskop untersuchen. Verunreinigungen dokumentieren, eine stolze Aufgabe. Ein beschissener Wandertag. In meinem Glas schwammen hauptsächlich Fäkalbakterien heru m – Escherichia Col i –, so mein stolzes Ergebnis. Warum ich dafür nur eine Drei bekam, verstand ich nicht. Konnte ich etwas dafür, dass ich nicht so beeindruckende Toxine vorweisen konnte wie andere, die zu entlegenen Stellen der Havel ausgeschwärmt waren, wo sich Fabriken statt Menschen ausschissen?
An einem der nächsten Tage waren The Wiebkes and the Klauses bestens gelaunt, als ich von der Schule nach Hause kam. Klaus hatte eine Stelle als Redakteur einer Kunstzeitschrift bekommen, für die er schon vorher oft als freier Kritiker gearbeitet hatte und um die sich sehr viele Leute beworben hatten. Als ich ihn beim Abendessen fragte, warum er glaube, dass schon wieder er ausgewählt worden war, lächelte er geheimnisvoll. »Dass man mich einfach wegen meiner Klugheit und Zuverlässigkeit schätzt, kannst du dir wohl nicht vorstellen, Jule, oder?«
Falk gähnte. »Zuverlässig? Seit zwei Jahren versprichst du Jule und mir, an die Ostsee zu fahren, du weißt schon, der kunstfreie Wochenendtrip, wenn Wiebke Oma Helen e – vor allem natürlich Oma Helenes Vögel ! – besucht. Seit einem Jahr versprichst du mir, mit mir in Kreuzberg in diese alte kaputte Kirche zu gehen, wo du mal Fledermäuse gesehen hast. Und seit vier Monaten warte ich darauf, dass du mir in der Bleibtreustraße so’n geilen schwarzen Wollpulli kaufs t …«
Klaus blickte Falk erschrocken an. »Das mit dem Wollpulli machen wir gleich nächste Woche!«
»Wenn Falk so’n Pulli bekommt, hätte ich auch gern was aus der Bleibtreu«, rief ich.
»Also gut, dann gehen wir nächste Woche zu drit t …«
»Nicht zu dritt!«, warf Falk ein. »Ich will mich lieber mit dir allein unterhalten, Jule nervt.«
»Ich will auch mit dir allein los, Klaus. Falk nervt.«
Wir wollten gerade ausmachen, wann Klaus mit wem losziehen würde, da tauchte Wiebke aus ihrer Bücherstube auf. »Ich finde es nicht richtig, den Kindern so was zwischendurch zu schenken. Wir haben doch dann etwas für sie zu Weihnachten! Vergiss nicht, wir haben auf dem Kunstmarkt unser letztes Geld gelassen.«
Klaus seufzte. Dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht, und er lehnte sich behaglich zurück: »Der Grund, warum ich befördert werde, ist neben meiner Intelligenz und unstrittigen Kompetenz, dass ich beruflich wie privat bestens in der Lage bin, ruhig und unbeteiligt zu bleiben, während sich verschiedene Egoisten gegenseitig die Köpfe einschlagen. Da Herr Specht es nicht ertragen könnte, wenn Herr Fuchs befördert werden würde, und Herr Fuchs Herrn Specht im umgekehrten Fall sofort totbeißen würd e – und so weiter, den Rest könnt ihr euch denken. Wir gehen dann also Anfang Dezember shoppen.«
Wiebke lächelte, Falk kritzelte ostentativ in seinem Taschenkalender in das Feld für den 1 . Dezember: Shoppen gehen mit Klaus. Der sah darüber milde hinweg beziehungsweise schon wieder in seine taz . Im Radio wurde gemeldet, dass die innerdeutsche Transitautobahn Berlin–Hamburg eröffnet worden war. Langsam wurde die Radiostimme von Billie Jean übertönt.
Aus dem Shoppengehen mit Klaus wurde nichts, weil er mit der neuen Arbeit »schrecklich eingespannt« war, dafür brachte er mir jedoch einen reptiliengrünen Wollpulli aus der Bleibtreustraße mit. Als Klaus mir den Pullover schenkte, trat Wiebke neugierig hinzu, weshalb Klaus seinen angefangenen Satz umformulierte: »Da wir’s ja jetzt nicht mehr geschafft haben, zusammen loszuziehen, wollte ich doch mein Versprechen halte n … Also, du solltest den Pullover doch noch ein bisschen auf den Weihnachtstisch legen.«
Da ich mich über den Pullover sehr gefreut hatte, nervte ich Klaus nicht mit der Frage, wie man ihn nur »ein bisschen« auf den Tisch legen konnte. Mit herunterhängenden Ärmeln?
An einem der nächsten Tage ging ich nach der Schule mal wieder mit zu Fiona. Als sie die Wohnungstür aufschloß, hörten wir ein seltsames Geräusch. Fiona zog ihren Wildledermantel aus und sah mich fragend an. Was wir hörten, war eine Art Schreien. Mir fiel ein, dass wir heute eigentlich erst nach der sechsten Stunde nach Hause kommen sollten. Jetzt veränderte sich das Geräusch, es klang eher wie ein lautes
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