Hausers Zimmer - Roman
Stöhnen.
»Vielleicht ist etwas los mit meiner Mama?« Fiona sah mich beunruhigt an. Dann rannte sie über den weichen Flokatiteppich nach hinten, ich folgte ihr. Das merkwürdige Geräusch kam aus dem hintersten Trakt der Wohnung. Wir rannten vom großen in den kleinen Flur, vom Vorderhausteil der Wohnung in den, der zum Hinterhaus gehört e – Annas und Fionas Wohnung war noch labyrinthischer als unsere, da zwei Wohnungen zusammengelegt worden waren. Wir blieben vor einer großen Flügeltür stehen und blickten uns aufgeregt an. Dann drückte Fiona die Klinke herunter.
Vor uns lagen Anna und das Ekel, nackt und eng ineinander verschlungen. Sie hatten beide das Gesicht von uns abgewandt, das Ekel lag hinter Anna, sie bewegten sich heftig, dabei beschimpften sie sich und stöhnten.
»Lass uns gehen!«, wisperte Fiona nach einer Weile.
Ich kam spät nach Hause, alle waren schon beim Abendbrot. Klaus erzählte gerade, dass sich die Beschwerden verschiedener Mieter über den Hauser gehäuft hätten. Dies habe er durch ein Telefonat mit der Hausverwaltung erfahren. »Dann hört das endlich mit AC / DC mitten in der Nacht da unten auf«, sagte er mit einer gewissen Befriedigung.
Falk warf mir einen prüfenden Blick zu. Ich sah ihm mit unveränderter Miene fest ins Gesicht.
In diesem Moment klingelte es an der Tür, und Anna kam gut gelaunt zu uns zum Tagesschau -Sehen. Fiona war beim Batikkurs, fiel mir ein.
Ich fühlte mich sehr unwohl in Annas Gegenwart; sie setzte sich auch noch neben mich und tätschelte mir den Arm. »Ihr habt bestimmt viele Hausarbeiten vor den Weihnachtsferien, oder?«
Ich nickte nur.
In der Tagesschau hieß es, dass der Bundestag den Vorbehalt gegen die Inbetriebnahme des so genannten Schnellen Brüters in Kalkar aufheben und damit den Weg für einen Betrieb des Atomreaktors ebnen würde. Damals ahnte niemand aus der Anti- AKW -Bewegung, dass das sieben Milliarden Mark teure Kernkraftwerk Kalkar nie in Betrieb gehen und eine der größten Investitionsruinen Deutschlands sein würde.
Wiebke und Anna diskutieren sofort über diese Nachricht. Anna forderte Wiebke auf, sie zu einer Demo zu begleiten, und Wiebke sagte: »Ja, ich denke, ich komme mit, mal sehe n …«, aber ich sah ihrem Gesichtsausdruck an, dass sie nicht gehen würde. Die Demo sollte irgendwo in Kreuzberg beginnen, und es war eisig draußen. Wiebke würde lieber in ihrem Himmelhochbett liegen und lesen. Vielleicht hatte Wiebke, wie Klaus, langsam keine Lust mehr, auf Demos zu gehen; der Elan, den sie noch im Frühjahr und im Sommer in dieser Hinsicht an den Tag gelegt hatte, hatte sichtbar nachgelassen.
Nachdem Wiebke nicht so recht mitmachen wollte, begann Anna, sich wieder mit Klaus über die Bebauun g – oder Begrünun g – der Hundewiese in die Haare zu bekommen. Ich kannte beide Argumente auswendig. Die Wiese war eh längst in fester Hand der Ratten, egal, was sich die beiden ausdachten.
Abends stand ich wieder vorm Fenster. Herr Kanz und Herr Olk hörten beide Ein bisschen Frieden von Nicole. Wahrscheinlich ahnten sie, dass sie es noch einige Jahrzehnte miteinander aushalten mussten.
Dakota House – später
Ein paar Tage später traf ich auf eine sehr stille Wiebke und einen in sich gekehrten Klaus, als ich auf der Suche nach Ahoj-Brause in unsere Küche lief. Sie saßen nebeneinander und blickten still auf die Tischkante.
Klaus hob den Kopf und sagte leise: »Heute vor zwei Jahren ist John Lennon erschossen worden.«
Ich nickte und schlich mich ohne Brause aus der Küche. Ob ich die gleiche Szenerie auch in zwanzig Jahren erleben würde?
»Heute vor zweiundzwanzig Jahren ist John Lennon erschossen worden.« Klaus würde auf die Tischkante blicken. Und Wiebke würde fahrig und nervös viel zu heißen Kaffee trinken.
Ich erinnerte mich sehr gut an den Todestag von John Lennon vor zwei Jahren: Damals war ich auch in die Küche gelaufen, auch mit der Absicht, mir eine Brause aufzugießen. Ich hörte kein Geräusch aus der Küche, spürte aber, dass jemand da war. Mit unbehaglichem Gefühl trat ich ein. Wiebke weinte. Klaus auch. Er hatte die Hände vor sein Gesicht gelegt, und seine Schultern zitterten leicht. »Wib i … Klaus?«
Klaus nahm eine Hand von seinem Gesicht, und für einen Moment sah ich sein weiches, nasses Gesicht. Ich hatte meinen Vater bisher nur selten weinen gesehen. Er winkte mich zu sich. Unsicher stakste ich heran. Dann fiel mein Blick auf die ausgebreitete Zeitung. Zwei Minuten später
Weitere Kostenlose Bücher