Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
saß ich bei Falk auf dem Hochbett und hörte Yer Blues vom White Album . Ich konnte einfach nicht bei meinen weinenden Eltern sitzen bleiben. Wiebke hatte ich schon oft heulen gesehe n – in dieser Hinsicht war sie fast so wie die Rund-Oma, weshalb ich früher dachte, die sei ihre und nicht Klaus’ Mutte r –, aber Klaus hatte ich erst einmal weinen gesehen, obwohl er ein Gesicht hatte, das auch im Normalzustand so aussah, als ob er gleich anfangen würde zu weinen. Damals war er merkwürdigerweise beim Anblick eines schwarzen Gemäldes von Ad Reinhardt in Tränen ausgebrochen; das war kurz nachdem sich ein guter Freund von Klaus in seinem VW -Bus überschlagen hatte und wenige Tage später im Urban-Krankenhaus gestorben war.
    Vor zwei Jahren hatten Fiona und ich in der Schule kein anderes Thema als den Mord, den Mord, den Mord. Das Dakota House in New York, der Verrückte, der von sich behauptete, ein Beatles -Fan gewesen zu sein, Yoko Ono, alles. Es gab im Beatles -Songbuch ein Zitat von John Lennon: »Ich will doch nicht mit vierzig schon sterben.« Er war genau vierzig. Vierzig Jahre und sechzig Tage. Geboren am 9 . Oktober 1940. Das Datum ist seitdem bei meinen Eltern im Tischkalender rot angekreuzt gewesen, zwischen den Geburtstagen von Freunden und Bekannten. Das rote Kreuzchen am 9 . Oktober war viel dicker als das am 10 . April, dem Geburtstag von Oma Helene.
    In der Schule machten sich damals alle über Fiona und mich lustig. Rolf meinte auf dem Schulhof zu mir: »Komm, sind doch noch drei übrig geblieben.« Sehr witzig. Dass meine »Liebe« zu John Lennon darin bestand, stundenlang über den Blumen, Diamanten und Walrössern aus den Beatles -Songs zu brüten und sie mit grüner und lilafarbener Tinte in meine zahlreichen Notizbücher abzuschreiben, war eine Sache, aber dass John Lennon auf diese Weise aus meinem Leben gerissen werden musste?
    Es war erst das Geschluchze meiner Eltern, das mich etwas von den Beatles abbrachte. Aber auch nur etwas. Schließlich ging nichts über I’m so tired .
    Woran ich mich auch erinnern konnte, war, dass sich Wiebke und Klaus nach dem Tod von John Lennon auf einmal so gut wie noch nie verstanden. Vorher hatten sie eine Weile lang ständig gestritte n – als Reaktion darauf begann Falk, sich auf seinem Hochbett zu verkriechen, und ich legte mir die Kakteenzucht zu. Aber in den Wochen nach dem schrecklichen Mord hatten sie überhaupt nicht gestritten; abends wurden bei uns endlich mal wieder Platten aufgelegt. Manchmal tanzten Wiebke und Klaus sogar dazu. Sie holten auch alte Fotoalben von einem der Hochböden, und Falk und ich bekamen allerhand Lustiges zu Gesicht: Klaus mit schulterlangen fettigen Haaren über eine unglaublich altmodisch aussehende Schreibmaschine gebeugt, Wiebke in einem quietschgrünen Plastikkostüm mit gelb-weißem Blütenmotiv darauf und mit ungefähr zwanzig Holzperlenketten um den Hals. Das war, als sie gerade nach Berlin gezogen waren. Dann kam der kleine Rotzlöffel, Falk, der damal s – unvorstellba r – sehr pummelig war. Bald schon turnte Falk ohne Scheu auf den Erwachsenen herum, planschte im Spülbecken oder schmierte sich Tapetenkleister ins Gesicht. Dann war ich endlich auch da. Ich war nie dick wie Falk, trug aber seit meinem vierten Lebensjahr eine Brille, und manchmal ganz unmögliche Modelle, zwei Jahre lang eine in Kermit-der-Frosch-Grün. Auf einem Foto ärgerte ich Falk, ich hielt eine Gabel in Richtung Falks schwabbeligem Bauch, und garantiert hatte er gleich gequiekt. Dann gab es ein Foto, das mir nicht gefiel: Da hockten Falk und ich beim alten Knilch und der Rund-Oma auf einem gruseligen Sofa und spielten mit den Fransen einer Tischdecke. Klaus’ Haare sahen auf dem Foto ganz besonders fettig aus, wahrscheinlich hatte er sie an diesem Tag absichtlich nicht gewaschen. Auch Wiebke war dem Zeitgeist entsprechend gekleidet gewesen. Lilafarbenes Flatterkleid, dazu Krissellocken im Afrolook, das fand sie mal toll. Klaus weniger, was Wiebke ihm übel nahm, erinnerte ich mich. Ob Wiebke wohl Klaus’ fette Matte toll fand?
    An einem Adventssonnta g – Wiebke hatte immer noch vom Weinen über John Lennon gerötete Auge n – ließ sich meine Mutter nach dem Kunstwerke-Abstauben auf mein Matratzenlager plumpsen und erzählte mir ihren letzten Traum: »Ich laufe unsere Straße runter, gehe zur Joachimstaler, es ist ein warmer und schöner Frühlingstag, ich weiß, ein reiner Wunschtraum, ich ziehe mir die Schuhe aus und setze

Weitere Kostenlose Bücher