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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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mich barfuß ins Gra s – vor die Musikhochschule. Da kommt mir Falk entgegen. Er sieht anders aus als sonst, wie, kann ich gar nicht sagen, vielleicht einfach älter. Er sieht mich und zeigt mit einem Finger in den Himmel, dann breitet er die Arme aus un d – Jule, du wirst es nicht glauben, er beginnt zu fliegen, er wedelt mit den Ärmeln seines weiten Hemdes und steigt und steigt, bis er nur noch ein kleiner Punkt is t … Na, Kleine, was sagst du dazu?«
    Sie zwickte mich in den Oberarm. Ich knabberte an einem Stück Esspapier und schüttelte den Kopf. Ich konnte Wiebkes gute Laune nicht teilen. Der Traum machte mir Angst.
    Später stand ich am Fenster und schaute in die Dunkelheit. Beim Hauser war es grottenschwarz. Kein Fernseher, vor dem er eingeschlafen war, kein vergessenes Licht, ich musste mich also gedulden. Ich dachte: Das ist auch bei uns so, mit der Warterei, nicht nur in der DDR . Ach, alles Schwachsinn. In mein Hauser-Heft malte ich ein schwarzes Quadrat. Ich drückte immer fester auf, dann begann ich über die Ränder des Quadrats hinwegzumalen und malte schließlich mit meinem Kugelschreiber die ganze Seite schwarz aus.
    Die Mülltonnendeckel öffneten und senkten sich behände, schwarze Schatten huschten flink durch die Dunkelheit. Sie schienen nie zu schlafen. Und sie waren so klug, dass sie das Gift, das die Hausverwaltung einmal in einer halbherzigen Bemühung um »Ordnung« im Hof und im Keller verteilt hatte, nie angerührt hatten. Danach gab es keinen Versuch mehr, sich ihrer zu entledigen, im Gegenteil, die meisten Mieter machten schnell einen Bogen um sie. Auch Herr Kanz. Es fehlte nur noch, dass er seinen Hut hob.
    Wenn der zugereiste Klaus sich Gedanken über das »Wesen« der Berliner machte, behauptete er gern Dinge wie diese: »Der Berliner ist alles andere als ein Konfliktvermeider. Konflikte geht er undiplomatisch und direkt an. Aber er verrennt sich nie in aussichtslose Angelegenheiten. Er ist kein Energieverschwender. Er hält viel vom Trägheitsgesetz. Da wird er dann pragmatisch und legt seine ignorante Seite an den Tag.«
    Ich selber meinte, man könnte einen Schritt weitergehen: Wir ignorierten die Ratten nicht, weil der Aufwand, sich ihrer zu entledigen, unermesslich sein würde und wir uns keine weiteren Kriege leisten konnte n – tief in unserem Herzen bewunderten wir sie. So gut wie sie würden wir auch gern mit wenig Schlaf, kalten Wintern und einer blöden Mauer klarkommen. Und hieß es nicht, dass gemeinsam durchstandenes Leid verbindet? Die Berliner und ihre Ratten überlebten den Krieg, die totale Zerstörung ihrer Stad t … und ziemlich oft unter demselben Dach.
    Am frühen Morgen schepperte Back in Black laut über den Hof, und der Hauser pinselte dazu auf eine Leinwand.
    Am nächsten Tag wurde auf dem Schulhof erzählt, dass Abba sich wohl trennen würden. Die Bandmitglieder hatten nicht von Trennung, nur von »Pause« gesprochen, aber das Gerücht ging schon seit einigen Monaten um.
    Fiona und ich waren traurig. Abba war nicht unsere Lieblingsmusik, aber Abba hatte uns bisher durch unser Leben begleitet, es gab wohl kaum einen Kindergeburtstag, an dem nicht irgendwann Abba gespielt wurde, und kein Kaufhaus, aus dem nicht Abba drang.
    Beim Abendbrot hielt sich die Trauer meiner Eltern ausnahmsweise einmal in Grenzen. Für sie waren die Beatles doch entscheidender.

Avus – Taxi Driver
    Noch zweieinhalb Wochen bis zu den Weihnachtsferien. Das Wetter war bleiern, Isa fort, Fiona ging fast täglich zum Yoga oder in ihre Therapiestunde und batikte, Steffen hatte ich schon seit Ewigkeiten aus meinem Orbit geschickt. Und Falk? Falk. War seit gestern Abend nicht wieder aufgetaucht. Er wollte zu einer No Wave-Party gehen, aber die gingen in der Regel nicht länger als bis fünf oder sechs Uhr morgens; es war halb drei nachmittags. Klaus und Wiebke machten sich Sorgen; ich war weniger beunruhigt. Bestimmt hing er noch bei Christian rum und katerte sich aus. Um sechs Uhr gab es immer noch kein Lebenszeichen. Wiebke fragte mich, ob ich wisse, wie Christian mit Nachnamen hieß. Ich wusste es nicht. Sie wühlte nach Klassenlisten mit Telefonnummern und Adressen, aber sie konnte nur meine Listen finde n – die dafür gleich vollständig bis zur ersten Klasse. Dann rief sie bei Roman, einem alten Freund von Falk, an, aber dessen Mutter meinte nur, dass ihr Sohn seit Monaten nichts mehr von Falk gehört habe. Schließlich aßen wir Abendbrot, dann kam die Tagesschau , Wiebke

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