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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Wiebke, dann bemerkte sie mich und fing an, darüber zu reden, dass Klaus und sie uns zu viel allein gelassen hätten, als wir klein waren, und dass »alles ihre Schuld« sei.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, schloss die Augen und stellte mir meine reptiliengrüne Zunge vor. Schließlich versuchte ich, meine Mutter zu überzeugen, dass Falk sicher nur gerade »so eine Phase« habe und in ein paar Jahren auch ganz anders drauf sein könne.
    »Wie denn?«, fragte Wiebke trotzig.
    »Was weiß ic h … vielleicht wird er ja so’n BWL -Fritze, der morgens noch’n paar Hanteln schwingt und sich’n Gurkensaft einfährt.«
    »Das wäre ja noch schlimmer!«
    Ich musste lachen, und Wiebke grinste trotz tränennasser Wangen. »Okay, Kleine, wird schon alles werden mit euch beiden, nicht wahr?« Ich streckte meiner Mutter meine giftgrüne Zunge raus.
    Zwei Minuten später klingelte das Telefon, es war Isa. Sie redete gleich munter drauf los, erwähnte Namen von Leuten, die mir natürlich nichts sagten. Sie war schon in eine neue Schulclique integriert, von der ich noch weiter entfernt war als von der alten. Und sie hatte einen neuen Verehrer. Er hieß Marco und ging in ihre Klass e – und gestern Abend waren sie zusammen in Star Trek II : Der Zorn des Khan gewesen. Mit dem Telefon unterm Arm und das meterlange Kabel hinter mir her ziehend, schlurfte ich in mein Zimmer. Dabei wäre ich beinahe über ein neues Kunstwerk gestolpert, eine gut zwei Meter hohe Pappmaché-Stele, die mit Wollfäden in den Farben Rot, Gelb und Blau umwickelt war und noch nach Kleber stank. Nach Isas Zusammenfassung des zweiten Teils von Star Trek zog ich in Erwägung, mich mit Schulaufgaben zu beschäftigen. Schließlich legten wir auf.
    Die Tür ging auf, Wiebke trampelte in die Fußgängerzone. »Ach Jule, bring doch mal schnell die Flaschen runter, ich bin gerade so beschäftigt.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, schnappte sie sich das Telefon und nahm es wieder mit in den Flur. Schon hörte ich die Wählscheibe schnurren.
    Ich fand es nicht besonders schlimm, da ich nun eine Ausrede hatte, das Biologiebuch doch nicht anzurühren. Die leeren Flaschen schlugen schmerzhaft an meine Knie, als ich die Treppe hinunterstakste. An unserem kleinen Platz warf ich die Pullen in Hauser-Manier in die runden Öffnungen des Containers. Aus der Hüfte heraus, wie ein Cowboy. Cowgirl. Girl. Ich?
    »Jar nich so schlecht, haste heimlich jeübt?«
    Ich fuhr erschrocken herum. Der Hauser stand hinter mir in Hawaiihemd und Lederklamotten. Ich hatte ihn gar nicht kommen gehört. Wie verwegen er aussa h … Mein Herz fing an schneller zu schlagen. Ich lächelte verunsichert.
    Der Hauser grinste mich an. »Un d … wat macht die Scheißschule?«
    Ich brachte nur hervor: »Na ja, ist halt ziemlic h … uninteressant alles, immer nur Genetik in Biologi e … Äh, dabei würde ich viel lieber wissen, warum Ratten sich, äh, so gut miteinander verständigen könne n … und warum Menschen weinen!«
    Von den Augen zu seinen geschwungenen Brauen, von der faltigen Nasenwurzel zur großen Nase betrachtete ich sein Gesicht. Er blickte mich an, selbstbewusst, abschätzend. So direkt hatten wir uns noch nie angesehen. Außer an dem Nachmittag, als er aus der Peepshow gekommen war.
    Er grinste. »Wie alt biste eijentlich?«
    »Fünfzehn!«, sagte ich stolz.
    »Wat? Du fuffzehn? Du siehst aus wie elf, ick dachte, du bist elf.«
    Ich schwieg beleidigt.
    »Du liest doch imma Biene Maja «, erdreistete er sich noch zu sagen.
    »Nee! Die Hefte habe ich nur geschenkt bekomme n …«, wehrte ich mich. Und sagte mit wichtiger Miene: »Ich lese gerade Sternstunden der Menschheit von Stefan Zweig!«
    Tatsächlich hatte ich gerade gestern mit Begeisterung die Kapitel Der Kampf um den Südpo l – Robert Scotts gescheiterte Südpol-Expedition 1912 und Flucht in die Unsterblichkei t – Entdeckung des Pazifiks durch Balboa 1513 gelesen.
    »Haste Bock, ’n bisschen Video zu kieken?«, fragte der Hauser plötzlich.
    Ich hatte daneben geworfen, zack, die Flasche zerschlug auf dem Kopfsteinpflaster. Erschrocken guckte ich zwischen Hauser und Flasche hin und her.
    »Ja«, sagte ich.
    »Und ditte da lass liejen.«
    Mit klopfendem Herzen stapfte ich hinter dem großen Hauser hinterher. Seine lange braune Mähne wehte mir ins Gesicht, ich hörte, wie seine Lederhosenbeine beim Gehen aneinanderrieben. Der Weg zu unserem Haus kam mir unendlich lang vor, und ich wurde immer aufgeregter. Einen

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