Hausers Zimmer - Roman
riesiges Bett gekliert hatte: Wer A sagt, muss auch’n Kreis drum machen .
Ich war begeistert. Alles, worüber mein Vater geschrieben hatte, vorausgesetzt, ich hatte seine merkwürdigen Essays verstanden, tat der Hauser, aber Klaus wollte nichts mit ihm zu tun haben. Vielleicht gefiel ihm einfach die Lederkluft nicht.
Ein unsichtbares »Ja« – Permafrost
Am Nachmittag packten Falk und ich unter Wiebkes Aufsicht Päckchen für die Polen, bei denen seit Dezember letzten Jahres das Kriegsrecht verhängt worden war. Ich sollte das Päckchen bis 18.00 Uhr bei der Post aufgeben. Beinahe hätte ich es nicht mehr geschafft, weil Wiebke und Falk ewig diskutierten, ob der Sarottimohr auf den fünf Schokoladentafeln, die in das Polenpäckchen wanderten, eine Form von Rassismus sei oder nicht. Wiebke meinte eigentlich ja (sie hatte die Tafeln jedoch besorgt, was ich widersprüchlich fand), Falk, der sehr viele Dinge rassistisch fand, sagte, wenn es den Alpenjungen (den er sich gerade ausgedacht hatte) mit blonden Locken irgendwo im Tschad auf einer Tafel Schokolade gäbe, würde er sich nicht rassistisch beleidigt fühlen. Wiebke meinte, sein Beispiel sei an den Haaren herbeigezogen, wir könnten die Gefühle von Schwarzen nicht nachvollziehen, weil wir nicht den gleichen »historischen Erfahrungsraum« hätten. Außerdem sei Schokolade meistens schwarz und nicht weiß. Ich meinte mich auch noch einschalten zu müssen, verhaspelte mich, kam zu keiner klaren Aussage. So ging es eine Weile.
Als wir fertig gepackt hatten und ich mich endlich durch unsere drei Flure zur Haustür geschlängelt hatte, marschierte Wiebke mir hinterher und drückte mir eine Benachrichtigung in die Hand. »Bei der Post ist auch etwas für uns hinterlegt worden, bring’ das gleich mit.«
Ich salutierte und murmelte in Anlehnung an unser vorausgegangenes Gespräch: »Die Haussklavin erklärt sich mit allem einverstanden.«
Und, wie ich’s mir dachte, gab Wiebke zurück: »Julika, das ist zy-nisch!« Das war nämlich einer ihrer Lieblingssprüche.
Ich trollte mich in Richtung Post. Nachdem ich unser Polenpäckchen aufgegeben hatte, bekam ich das hinterlegte Päckchen ausgehändigt: Es war ein Care-Paket aus Westdeutschland für uns. Ein Berlinpäckchen von Oma Helene.
In den Siebzigern hatte sie uns dauernd Pakete geschick t – sogar welche mit Kartoffeln. Sie schien zu glauben, wir würden in Sibirien leben. Anfang der Achtziger erhielten wir seltener Pakete, aber alle paar Wochen erreichte uns immer noch eines.
In den Paketen lag eine Postkarte, auf der stets in ähnlichem Wortlaut stand: »Ein nahrhafter Gruß aus Hochheim.« Früher hatte Helene geschrieben »aus dem Westen«. Aber darüber hatte sich Wiebke so aufgeregt, dass Oma Helene schließlich »aus Hochheim« schrieb. Jetzt bekamen wir keine Kartoffelsäcke mehr geschickt, sondern, unter anderem, Pfanni aus der Tüte.
Beim Abendbrot lasen Wiebke und Klaus Zeitung, Falk hörte Walkman und spielte mit dem Zauberwürfel. Was für eine Sisyphosarbeit: Waren die Farbfelder richtig zusammengefügt, brachte Falk den Würfel wieder durcheinander, um von vorne anzufangen. Doch dieses Spiel sollte meinen Bruder das ganze Jahr über in seinen Bann schlagen.
Später gingen Wiebke und Klaus zum Ku’damm ins Kino, um den gerade groß diskutierten Film Mit dem Wind nach Westen zu sehen. Ich ging nicht mit, obwohl sich sogar Falk unseren Eltern angeschlossen hatte. Ich war zu müde. Außerdem ging es in dem Film um eine Flucht aus der DDR – Westen, Osten, es verging ja kein Tag ohne die bedeutungsvolle Nennung dieser Himmelsrichtungen. Ich aber wollte mit Motorradwind nach Süden.
Vom Fenster aus konnte ich den Hauser sehen: Er lag rücklings mit nacktem Oberkörper auf seinem Bett, hinter ihm leuchtete der hawaiianische Abendhimmel. Es sah aus, als läge er am Strand. Nichts passierte. Ich schloss die Augen und machte sie wieder auf. Die Lichterkette von Pechs flackerte nervös. Das ging schon seit gestern so, entweder die Pechs waren verreist oder es war ihnen piepegal. Piepegal, das war eines der wenigen Worte, die Herr Pech von sich gab: Neben dem zu jeder Tageszeit ausgesprochenen »Tach« gab es nur noch »könnta ma’ ruich sein!« oder »dasis mir piepägal«. Die knallbunte Weihnachtsdekoration passte nicht recht zur faden Erscheinung von Herrn Pech: Er trug beigefarbene Stoffhosen und Schuhe (Frau Pech das Gleiche in Grün), und dazu eine karierte Schiebermütze. Meist sah man
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