Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
Blankenese «, trompetete ein begeisterter Radiosprecher. Abrupt schaltete ich um. »Palmolive hat natürliches Protein. Es pflegt die Hände schon beim Spülen«, bekam ich zu hören und wechselte noch mal den Kanal. Und erwischte Ideal . Die Strophe, in der »ich und meine Idiotie« nebeneinandersitzen, gefiel mir wieder sehr. Und, ja, tausend Filme laufen in meiner Phantasie ab. Am Ende hat man kein Auge zugedrückt, und der Wahnsinn liegt neben einem, so ist es. Man fängt an, gemütlich herumzugrübeln, aus zehn Gedanken werden hundert, und aus hundert tausend. Ameisenkribbeln.
    Ich schlurfte ans Fenster, hob vorsichtig die Gardine und blickte auf das erleuchtete Fenster vom Hauser. Der Hauser saß auf seinem Bett und knipste sich, wie es aussah, die Zehennägel ab. Jetzt war der andere Fuß an der Reihe. Am Ende fegte er einmal mit der Hand übers Laken. Dann schnappte er sich die Fernbedienung und wechselte vom ersten ins zweite Programm. Schließlich drehte er sich weg und zog sich die Decke über den Kopf. Das Licht blieb an, der Fernseher blieb an, der Hauser rührte sich nicht mehr.
    Einfach das Licht anzulassen bedeutete für The Wiebkes and the Klauses fast eine Todsünde. Einer dieser Energie-Spar-Aufkleber prangte nicht nur an meiner Zimmertür, sondern auch an unserem Kühlschran k – der allerdings, weil er sich nicht mehr regulieren ließ, immer auf Hochtouren lief.
    Mir gefiel es, wenn beim Hauser unten die ganze Nacht Licht brannte. Jederzeit konnte ich aufstehen und ihn anschauen: Der Hauser schlummerte vor laufendem Fernseher. Wovon er wohl träumte?
    Ich horchte in die Nacht. Die Gerätschaften vom Olk klirrten und schepperten vor sich hin. Es raschelte und knisterte von den Mülltonnen her. Durch die Wand hörte ich Klaus’ Schreibmaschine klappern. Plötzlich brach das Klappern ab, zwei, drei lange Sekunden vergingen, dann rasselte die Schreibmaschine wieder umso heftiger los. Diese Pausen machten mich immer nervös. Worüber mein Vater gerade nachdachte, mit welcher Formulierung er sich wohl quälte? Ein Teil dieser Unruhe übertrug sich auf mich.
    Mit einem Satz sprang ich auf, lief aus meinem Zimmer und klopfte an Klaus’ Tür. Ich vernahm ein Räuspern und trat ein. Klaus hob eine Augenbraue und zeigte auf einen der schwarzen Sessel. Bei ihm konnte man nie wissen: Entweder er war völlig vertieft und runzelte abweisend die Stirn, wenn man einen Fuß in sein Arbeitszimmer oder den Denkraum setzte, oder aber er war froh über Ablenkung.
    Klaus lehnte sich zurück und fragte, warum ich nicht schlafen könne und wie es in der Schule gehe. Er meinte: mit den Mitschülern, nicht mit den Noten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie mein Vater mit vierzehn gewesen sein mochte. War er auch ein Außenseiter oder immer mit einer Clique unterwegs? War er ein Streber oder ein Sprücheklopfer? Auf einem Foto von Klaus als Kind, das in einem unserer Alben klebte, sah er streberhaft aus, mit Seitenscheitel und weißem Hemd unter einem karierten Pullunder. Nein, da war er kein Sprücheklopfer, mit vierzehn hatte Klaus bestimmt noch alle Hausarbeiten gemacht. Rebellisch wurde er erst später.
    »Hast du früher immer alle Hausarbeiten gemacht?«
    Klaus fing an zu grinsen.
    »Nein, aber meistens, mein Vater hat sich schrecklich aufgeregt, wenn in der Schule was danebenging.«
    »Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie du mit vierzehn gewesen bist«, murmelte ich und machte es mir im Sessel bequem.
    »Ach, wir hatten damals viel weniger Freiheiten als ih r … Nein, bis ich von zu Hause auszog, hat es mich eigentlich gar nicht richtig gegebe n …« Klaus machte eine Pause. Ich blickte ihn neugierig an. Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
    »Ach, Jule, wenn ihr heute meint, wir seien autoritä r … Wir hatten damals nichts zu melden, so etwas wie eigene Wünsche, etwas ausprobieren, das ging überhaupt nicht. Ich hätte sogar beinahe Altgriechisch studiert, weil mein Vater davon so begeistert war. Aber zum Glück traf ich dann auf ein paa r … Gleichgesinnte und lernte, mich mehr durchzusetzen. Bei deinem Großvater keine leichte Aufgabe.«
    »Und dann bist du weggezogen, um deine Eltern nicht mehr auf der Pelle zu haben?«
    »Jein. Ich bekam in Berlin ein Jobangebot, wie du weiß t … aber ich sah auch in dieser Stadt eine Chance, sie hatte etwas Unverbrauchtes, eine eigene Dynamik, entwickelte sich gewissermaßen fort von Westdeutschland, wurde ein eigenes Land, im

Weitere Kostenlose Bücher