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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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diesem Moment rief Karl: »He, Kleene, bleeb doch ma’ hier, ick muss dir noch wat zeijen.«
    Ich zögerte. Was sollte ich tun? Schließlich dachte ich an Falk und den Vergleich mit Art Garfunkel und kehrte um.
    Karl hielt ein Biene-Maja -Heft hoch: »Kiek ma’, dit hab ick letzte Woche jeschenkt bekomme n – jetz mach’n wa dat ma’ umjekehrt, und ick jeb euch meene ausjelesnen Heft e … wär dit nich wat für dich?«
    Er reichte mir das Heft mit einem freundlichen Lächeln. Sein Blick war ein wenig trüb, als sähe er schlecht.
    Ich war zwar aus dem Biene-Maja -Alter raus, freute mich aber über die nette Geste. »Danke!« Mit klopfendem Herzen trat ich endlich unter der Betondecke hinaus ins Freie.
    Wieder zu Hause erkannte ich Isa an der Art des Klingelns an der Tü r – es war eine Art Stakkatoklingeln. Wir gingen in mein Zimmer. Die Blumenreihen, die wir in Genetik durchexerzieren mussten, legten wir in verschiedenfarbigen Smarties aus. So machten die Hausaufgaben mehr Spaß. Die Smarties aßen wir dann rasch auf, denn in Wiebkes Augen war so etwas Supermarktmist. Isa hatte viel bessere Noten als ich, ein gutes Zeugnis war ihr sehr wichtig. Mein Ehrgeiz richtete sich nur darauf, durchzukomme n – meine Berufswünsche waren Traumdeuterin, Südamerika-Reiseführerin, Verkäuferin in einem Laden mit Atlanten und Globen oder Kakteenzüchterin.
    Später ließen Isa und ich uns auf mein Matratzenlager plumpsen und redeten über die verrückten Patienten von Isas Vater, die Angst hatten, West-Berlin werde ganz russisch, ganz amerikanisch, marsianisch, plutonisc h – er hatte Patienten, die sich für Stalin, Jesus, Che Guevara oder Kennedy hielten, die sich hundertmal am Tag auf der Straße umschauten, ihr gesamtes Einkommen in einen Chauffeur investierten und sich manchmal gar nicht mehr vor die Tür trauten. Manchen gefiel es im Gefängnis besser als zu Hause. Eine Patientin hatte sich in die Berliner Mauer verlieb t – nicht aus politischen Gründen, wie sie sagte, sondern nur als Objek t – und tätschelte sie jeden Tag. Wer es nicht glaubt: Eine Frau mit dieser speziellen Krankheit wurde später von einer Künstlerin in einem Video dokumentiert. Die Frau lernte soga r – per Mailkontak t – eine irgendwo in Skandinavien lebende Person mit der gleichen Obsession kennen, und es gibt Fotos, auf denen die beiden kleine nachgebaute Modelle ihrer geliebten Mauer wie Hündchen hinter sich herziehen.
    Herr Hülsenbeck sprach immer mit großem Respekt, fast Bewunderung, von seinen Patienten: Den einen fand er originell, den anderen raffiniert, die dritte hochbegabt. Merkwürdiges hörte sich bei ihm normal, vollkommen nachvollziehbar an, er war ein unbedingter Fürsprecher und Verteidiger seiner Patienten. Mit seinem Verständnis für die verschiedensten Menschen ging auch das Talent einher, sich seinerseits seltsam zu verhalten, wenn es brenzlig wurde. Einmal erzählte Isa, dass sich ein selbstmordgefährdeter Ex-Häftling vor ihrem Vater aufbaute, mit einer Waffe herumfuchtelte und schrie: »Was passiert, wenn ich mir diese Pistole an den Kopf halte und schieße?« Daraufhin hatte Herr Hülsenbeck »Peng!« geschrien. Der Ex-Häftling hatte die Waffen gestreckt.
    Über den Beruf oder vielmehr die Berufe meines Vaters gab es leider weniger Spannendes zu berichten. Letztens hatte Klaus versucht, mir die Arte Povera nahezubringen, aber mir hatte sich nicht erschlossen, was mein Vater an Erdhaufen, Holzstücken und Glasscherben so bewunderte. Vielleicht kam das ja noch mit dem Alter. Ich wollte wissen, ob man daraus auch begehbare Kunstwerke machen konnte, denn die mochte ich. Bedrückend der Gedanke, dass Klaus nachts, wenn ich ihn tippen hörte, nichts anderes tat, als stundenlang über diese komischen Dinge nachzugrübeln. Vielleicht war mein niedlicher Vater deshalb ein bisschen weltfremd und merkwürdig.
    Isa und ich wechselten das Thema und redeten über die braunen Locken von Joshua, unserem Schulsprecher, für den Isa seit Neuestem schwärmte, und der Party, zu der er Isa eingeladen hatte. Wir redeten über alles, nur nicht über den Hauser. Ich mochte Isa sehr, aber sie war nicht besonders merkwürdig; Dinge, bei denen es logisch war, dass sie einem Spaß machten, machten ihr Spaß, und Dinge, bei denen jeder Mensch traurig wäre, machten sie traurig. Als Wuschel auf einem Ausritt verletzt wurde, weinte sie, und als ihr Vater wegen eines Ost- und Westdeutschen Psychiaterkongresses nicht zu ihrem

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