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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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abzubrechen.
    In und neben den Mülltonnen hörte ich die Ratten schlemmen; von Pommes über Steak bis hin zu Eiskonfekt bekamen sie alles in den Rachen geworfen. Manchmal hatte ich sie schon an teurem Ziegenkäse nagen sehe n – Wiebke kaufte für uns immer nur Scheibletten. Die wiederum ließen die Ratten meist liegen. Selbst in kargen Zeiten würden sie nicht so tief sinken. Überhaupt sahen sie wohlgenährt aus. Ein Pärchen lag auf einem rot und silbern angesprayten LKW -Reifen vom Grottenolk und räkelte sich zufrieden in der fahlen Wintersonn e – Verdauungspause nach einer üppigen Mahlzeit.
    Während ich die glücklichen Ratten beobachtete, dachte ich für einen Moment an Herrn Adán. Warum schenkte er mir Aufmerksamkeit? War er neu in diesem Viertel, wollte er sich einfach mit seiner Kundschaft gutstellen? Aber warum lächelte er mich anders an als Isa oder Fiona? Oder bildete ich mir das nur ein?
    Der Hauser nickte nicht einmal, als sich unsere Blicke begegneten. Ich rieb mir meine kalten Hände und steckte sie in die Hosentaschen. In einer fand ich die Grips -Theaterplakette, die Klaus mir mit zwei Tickets für ein Stück im Grips zu Weihnachten geschenkt hatte. Ich liebte Volker Ludwigs Mutmach -Theater für Kinder und Jugendliche, das vier Jahre später mit dem Musical Linie 1 einen Welterfolg feiern sollte, und hatte mir mit Falk Ende Dezember gleich das neue Hausbesetzerstück Alles Plastik angeschaut. The Wiebkes and the Klauses gingen nicht seltener als Falk und ich ins Grip s. Dass die Berliner CDU die Grips -Theatertruppe einmal als kommunistische Kinderverderber bezeichnet hatte, adelte sie ihrer Meinung nach erst recht. Ich steckte mir den Grips -Kobold, der aus einer Kiste mit angehobenem Deckel lugte, an meine Jacke. Vielleicht sollte ich anfangen, Buttons zu sammeln. Aufkleber waren etwas für Kinder, aber eine Reihe Buttons würden an meiner Jeansjacke gut aussehen. Der Hauser trug jede Menge Buttons an seiner Lederjacke. Eine Friedenstaube und ein Hanfzeichen hatte ich scho n – obwohl ich mich gar nicht traute zu kiffen. Falk wäre sicher böse, wenn sich seine kleine Schwester auf sein Terrain begeben würde.
    Der Hauser beachtete mich weiterhin nicht; seine langen Locken hingen ihm wirr ins Gesicht, als er sich mit einem Schraubenzieher in der Hand quer unter das Motorrad auf den Boden legte. Enttäuscht stapfte ich nach oben.
    Von meinem Fenster aus sah ich später den Hauser mit seinem Motorrad durch die Toreinfahrt verschwinden. Den Rest des Tages war er unterwegs. Auch abends blieb sein Zimmer dunkel.
    »Wovon der Hauser wohl lebt?«, fragte Wiebke beim Frühstück in die Runde, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
    »Nachts um zwei dreht der seine Anlage noch auf«, jammerte Klaus.
    »Und so schlecht ausgesteuert«, sagte Falk.
    »Schundmusik!« Das war Klaus wieder, der seine so genannte gute Musik nie hörte, weil er keine Zeit dazu hatte. Doch mir gefiel es, dem Hauser nachts oder am frühen Morgen beim Tanzen in seiner Bude zuzusehen, auch wenn er dabei Boney M. oder Dschinghis Khan hört e – er schien kein Prinzipienreiter zu sein, er hörte von Hard Rock über Disco alles. Und ob ihn jemand beim Tanzen beobachten könnte, schien ihm piepegal zu sein.
    The Wiebkes and the Klauses hatten einen Schrank voller Platte n – alles Mögliche von Woody Guthrie über Eric Clapton zu den Beatles und den Stone s – aber sie hörten sie fast nie. Einmal im Jahr, zu Silvester, stellten sie leise Let it be an. Sie erzählten gern von wilden Partys, die sie noch in den Siebzigern gefeiert hatten, wenn Falk und ich bei anderen Kindern übernachteten. Überhaupt sprachen Wiebke und Klaus oft von der Vergangenheit.
    »Kinder, Essen ist fertig!« rief Wiebk e – im gleichen Tonfall wie Oma Helene.
    »Kinder« schloss Klaus mit ein. Er kochte auch gelegentlich, hatte heute Abend aber auf dem Sofa gelegen und Zeitung gelesen. Mir gefiel es, wie er auf dem Rücken lag, die Füße über die Sofalehne hängen und in der Luft baumeln ließ. Als Falk und ich kleiner waren, hatten wir ihm, wenn er so schön vertieft war, schnell die Schnürsenkel ausgefädelt. Jetzt zwickte ich ihn nur noch in die Unterschenke l – man wird schließlich erwachsen. Klaus sprang auf und stürzte in die Küche.
    Falk hatte sich mit seinem Teller bereits aufs Hochbett zurückgezogen. Wenn Falk ein Tier wäre, das in einem Naturführer beschrieben werden würde, stünde da: »Habitat: Lebt auf Hochbetten.

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