Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
Fernweh.

Barfuß im Februar – Zwei Mark achtzig für den Seelenfrieden
    Klaus war aus Frankfurt von der großen Christo-Ausstellung zurückgekommen. Ganz verstanden Falk und ich nie, was ein Kunstkritiker, Kurator und Kulturwissenschaftler eigentlich machte. Dieser Beruf oder vielmehr diese Berufe brachten zumindest jedes Jahr zahllose Atelier-, Galerie-, Hinterhof-, leere-Brachen-, verwilderte-Wiesen-, Keller-, Ruinen-, Bunker-, Museums- und Kunstmessenbesuche mit sich. Von dieser Reise hatte Klaus uns kein Souvenir mitgebracht. Falk war enttäuscht. Auch wenn Frankfurt zu Restdeutschland gehörte, musste es dort doch auch irgendetwas geben, was als Geschenk durchgehen konnte. Klaus entschuldigte sich, es habe nicht an Frankfurt, sondern an seinem Kalender gelegen, er sei so eingespannt gewese n … Demnächst werde er uns aus Basel Schokolade mitbringen, ganz bestimmt!
    »Das notiere ich mir!«, sagte Falk. Wir konnten nie im Kopf behalten, wann Klaus wo gewesen war. Falk stichelte, dass »Kunstkritiker« nur eine gutbürgerliche Umschreibung für »Mafioso« sei und dass Klaus bestimmt aufregende Dinge erlebe in seinem anderen Leben, an dem er uns nicht teilhaben lasse. Stockholm, Basel, London, New York, Toronto, Tel Aviv, São Paulo, Mexiko Cit y – wir schmückten unsere winterlich düsteren Zimmer mit Klaus’ fernen Hochglanz-Grüßen. Aber Klaus schien diese Reisen nicht sonderlich zu genießen. »Das sind doch keine Abenteuerreisen, das sind Dienstreisen!«, pflegte er zu sagen und sprach viel von »Druck« und »Stress«. »Ich bin doch überall nur ein paar Tage! Ich freue mich immer sehr, zurück in Berlin zu sein, und bei euc h …«
    »Wieder allein in meinem Denkzimmer zu sein«, korrigierte Falk dann gern. Wiebke betonte oft, wie wichtig es sei, auch und gerade in einer Ehe »selbstständig« zu sein und nicht ständig »aufeinander zu hocken«; jeden Abend stürzte sie von einer Kulturveranstaltung oder Feier zur nächsten, wenn Klaus auf Reisen war. Aber manchmal, wenn sie spät abends allein auf ihrem Himmelhochbett saß, wirkte sie doch traurig; hin und wieder hörte ich sie Selbstgespräche führen.
    Einige Tage später saß ich an meinem Schreibtisch und kritzelte in den Apothekenkalender, den Herr Adán mir geschenkt hatte. Ich blätterte zum November vor und malte ein Fragezeichen auf die Seite mit dem Datum meines Geburtstags. Seit ich denken konnte, hatten The Wiebkes and the Klauses großen Wert darauf gelegt, dass Falk und ich keine »normalen« Geburtstage feierten. An meinem letzten Geburtstag hatten sie für einen Tag ein Schaf von einem Verleih für Schafe gemietet. Dieser Verleih war gerade sehr beliebt in Berlin, ich hatte schon mehrfach auf unseren Sonntagsausflügen hinter großstädtischen Fassaden Schafe als natürliche Rasenmäher in Hinterhöfen auf halb verwilderten Wiesen gesehen. An meinem Geburtstag stand also zwischen den Kanzschen Brüsten und der Urbanen Collage ein Schaf herum. Der Hauser saß in Lederhosen und khakifarbener Army-Jacke auf dem Boden bei seinem Motorrad und war fast bei meinem ganzen Geburtstag mit dabei. Mich selbst langweilte das Schaf. Es hatte nichts im Sinn, außer Gras zu fressen, da konnte man es am Schwanz ziehen oder ihm ein paar Wollbüschel abschneiden: Hauptsache Gras. Am Ende hatten meine Freundinnen und ich zu Wiebkes Enttäuschung das Schaf Schaf sein lassen und in der einzigen freien Ecke des Hofes frierend auf Plastikstühlen Kinderkirschsaftbowle getrunken. Der Hauser stand noch eine Weile mit einer Flasche Bier daneben, aber Wiebke schickte ihn dann leider weg. Wieso sollte ich mich an meinem vierzehnten Geburtstag mehr für ein verfusseltes Schaf als für einen tollen Rocker interessieren?
    Jetzt sah ich ihn unten, sprang sofort die Treppen hinunter und stand kurz darauf im Hof. Der Hauser hatte mir den Rücken zugewandt, schraubte an seiner Maschine und beachtete mich nicht weiter. Ich blickte mich um.
    Auf den Mülltonnen und den Fahrrädern saßen mindestens acht Tauben. Eine von ihnen verrichtete ein ansehnliches Geschäft auf Wiebkes Hollandradsattel. Die Tauben hatten Auswahl, was gemütliche Plätzchen auf unserem Hof anging, aber der breite Wildledersattel meiner Mutter war eindeutig ihr Favorit. Wiebke, deren Zorn jedes Wesen fürchten musste, konnte vor ihnen stehen und ihnen mit einer zusammengefalteten Zeitung auf den Kopf hauen, aber sie dachten nicht daran, ihren Toilettengang zu beschleunigen, geschweige denn

Weitere Kostenlose Bücher