Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
oder nicht, »besonders wichtige« Passagen beim Frühstück vorspielte. Die Kassetten hießen: »Dietmar I «, »Dietmar II «, «Dietmar III « und so weiter.
    Oma Helene und Wiebke telefonierten ab und zu, aber jedes Mal hatte Wiebke danach schlechte Laune. Oma Helene, die eigentlich aus Berlin stammte (Wiebke hatte die ersten acht Jahre ihres Lebens hier verbracht), wohnte im Taunus in einem großen Haus mit lauter Vögeln. Sie duldete weniger Widerspruch als Wiebke und war eleganter angezogen als Frau Hülsenbeck. Bei ihr war alles unvorstellbar sauber und aufgeräum t – Falk und ich waren immer wieder aufs Neue perplex, wenn wir ihr Haus betraten. Oma Helene wurde böse, wenn man nicht schon beim Anblick ihres Hauses die Schuhe abstreifte. Sofort musste man zerfusselte Wollsocken anziehen. Klaus fand es unbegreiflich, warum es wichtiger sein sollte, dass eine Wohnung besser aussah als man selbst. Die Dinger waren alle viel zu groß, so dass man über die gefährlich sauberen Dielen schlitterte. Vermutlich handelte es sich um alte Socken von meinem Großvater, und Falk nannte sie beim Überstreifen gern »Dietmar I «, »Dietmar II « und so weiter, was Oma Helene sehr ärgerte.
    Nach unseren Besuchen im Taunus war die Stimmung immer merkwürdig gewesen. Oma Helene meckerte permanent an Wiebke herum, sie ziehe sich unmöglich an, ihre Haare sähen entsetzlich au s – ob wir in Berlin in einer Kommune leben würden, fragte sie. Ich wusste nicht genau, was eine Kommune war, und nahm an, es bedeutete, in einer Art Ruine zu leben. Vermutlich hatten sich in den Sechzigern junge Leute ohne Geld, die ein bisschen anders leben wollten, in Ruinen aus dem Zweiten Weltkrieg einquartiert.
    Wiebke war auch nicht freundlich zu Oma Helene. Jedes Mal, wenn sie uns etwas über ihre Vögel (die alle alberne Namen hatten: Hansi, Micki, Dicki, Tricki) erzählen wollte, rief Wiebke laut: »Hör bloß auf mit deinen Vögeln!« Falk und mich hatte Oma Helene einmal in einem nicht sehr weihnachtlichen Weihnachtsbrief als »kleine Monster« bezeichnet. Das war noch in der Zeit, als wir in den Kinderladen gingen. Der Auslöser für den »Kleine-Monster«-Brief war ein Foto, das Wiebke ihrer Mutter zum Geburtstag geschickt hatte. Wiebke liebte dieses Foto, es hing bei uns als vergrößerte Kopie in der Küche. Falk und ich standen nackt in der Badewanne, bemalten uns gegenseitig mit bunten Fingerfarben und lachten ganz doll dabei.
    Unsere anderen Verwandten kannte ich kaum, meine ganzen Onkels und Tanten, Cousinen und Cousins. Die paar Male, die wir sie besucht hatte n – auch sie taten so, als würden wir am Ende der Welt in einer Art verwildertem Nest lebe n –, starrten sie Falk und mich unverhohlen an, wunderten sich über unsere Kleidung und Frisuren, fragten Überflüssiges über die Schule. Jedenfalls freute ich mich nicht besonders auf diesen »Urlaub« in Paderborn.
    Doch bevor ich mich mit dem schwierigen Fall Paderborn auseinandersetzen musste, ging es bei uns um das Kosovo. Ein Jahr nach den schweren Unruhen, die zur Verhängung des Ausnahmezustandes geführt hatten, war es in der jugoslawischen Provinz erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen, sagte die Tagesschau -Sprecherin.
    »Das Land kommt einfach nicht zur Ruhe«, seufzte Klaus nach der Sendung.
    »Diese ganzen Unabhängigkeitsbestrebungen, das ist doch utopisch«, meinte Wiebke. »Mein Gott, das Kosovo, winzig ist das doch.«
    »Wie groß ist denn Liechtenstein? Monaco? Luxemburg?«, fragte ich dazwische n – und wurde überhört.
    »Na, wenn da mal jede Teilrepublik in der Sowjetunion rebellieren würde!«, warf Wiebke ein. »Das ist ja ein Vielvölkerstaat, künstlich unter Verschluss gehalte n … Nicht auszudenken, wenn diese Länder mal alle in die Unabhängigkeit streben. Aber auch da wird sich nichts ändern, wenn sich schon in Jugoslawien nichts ändert, das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Oder China«, meinte Klaus. »Da gibt’s auch jede Menge Minderheiten.«
    »Ach was, die sehen doch alle gleich aus«, sagte Falk gespielt blöd. Er verdrehte die Augen, weil Wiebke ihn böse anschaute.
    »China, das ist seit Tausenden von Jahren stabil, dagegen ist die Sowjetunion eine sehr junge Republik. China wird nie auseinanderfallen«, behauptete Wiebke, die sich offenbar als Asienexpertin verstand.
    An einem der nächsten Tage schickte mich Wiebke mit zwei Tütchen Studentenfutter, zwei Haushaltspapierrollen, einem Laib

Weitere Kostenlose Bücher