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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Wiebke warf mir einen langen Blick zu, dann antwortete sie: »Wir brauchen ein kulturell anregendes Umfeld, das ist auch Teil unserer Arbeit.«
    »Anregend ist eben laut«, gab Falk von sich, verzog sich in sein abgedunkeltes Gemach und schmiss seine neueste Platte, Heat von Leningrad Sandwich , an. Später zupfte er noch auf seinem Bass herum. Isa hatte mal zu ihm gemeint, dass Bass doch ein Begleitinstrument sei, und gefragt, ob er nicht in einer Band spielen wolle. Falk hatte überlegen lächelnd den Kopf geschüttelt, als hätte er es mit einem einfältigen Kind zu tun, und entgegnet, dass der Bass sehr gut ohne Begleitung auskomme.
    Immerhin hatten wir jetzt Osterferie n – fast drei Wochen! Zwar verreisten wir nicht, aber wenigstens war ich eine Weile nicht der Gruppensitzordnung ausgesetzt. Hochzufrieden über diese Aussicht legte ich mich schlafen. Ich sagte dem Hauser noch einmal »Tschüss « – dazu stellte ich mich auf Zehenspitzen ans Fenster und winkte über den Abgrund unseres schwarzen Hofs, von dem aus wie immer ein Rascheln, Tuscheln und Knistern aufstieg, von Dunkelheit zu Dunkelheit. Dann schlief ich erstaunlich schnell ein.
    Als ich am Morgen in Ferienstimmung in die Küche lief, um mir ein Glas TriTop anzurühren, stieß ich auf eine betrübt aussehende Wiebke. »Julika, setz dich ma l …«
    »Was ist denn?«
    »Carl Orff ist heute gestorben.«
    »Wer war’n dis?«
    Meine Mutter seufzte. »Julika, tu nicht so.«
    Ich schüttelte den Kopf. Schließlich las sie aus dem Tagesspiegel vor: »Gestern ist der Komponist Carl Orff im Alter von 86 Jahren in München gestorben. Er wurde durch zahlreiche Opern und sein musikalisches Schulwerk bekannt.«
    »Musikalische s … ach dieses Zeug, o Gott.«
    »Julika!« Wiebke verschwand kurz in Klaus’ Arbeitszimmer und kehrte mit einem Musiklexikon zurück.
    »Ich muss noch den Alten Mann der Anden und die Bischofsmütze umtopfen!«, rief ich eilig aus. Wiebke und Klaus hatten eine Weile lang geglaubt, der Name Alter Mann der Anden sei meine Erfindung gewesen, aber der Kaktus mit den weißen Fusselhaaren hieß so. Und die Bischofsmütze war auch keine Jule-Idee.
    »Dann lese ich eben allein über Carl Orff nach«, gab Wiebke missmutig zurück.
    Ich wunderte mich und zog mich auf den Balkon zurück. Natürlich war Carl Orff Wiebke ein Begriff, sie mochte auch das ein oder andere Werk von ihm kennen, aber ihre gedrückte Stimmung schien mir doch ein wenig übertriebe n. Vielleicht benutzte sie die vielen Tode in diesem Jahr auch nur als Katalysator für eine allgemeine, um sich greifende Traue r – und Angst.
    Am späten Nachmittag zog plötzlich ein Frühlingsgewitter auf. Es regnete, blitzte und donnert e – irgendwann kam der unausweichliche Hagel. Ich stand mit meinem Minifernglas am Fenster und betrachtete das Unwetter. Niemand aus unserem Haus schien einen Schritt vor die Tür gesetzt zu haben, alle verkrochen sich wie die Termiten. Anna hatte ihre griechischen Seidenvorhänge zugezogen, die Pechs ihre angegrauten Blumenvorhänge, Herr Olk schlich in seinem nur von schwachem Kerzenschein erhellten Souterrainreich umher, Herr Kanz tanzte mit einer dunkelhäutigen Schönheit unermüdlich durch sein riesiges Wohnatelier, Familie Söylesin hing auf dem Sofa vor der Glotze ab, Frau Koderitz folgte Fred durch ihre verzweigte Wohnung und Fred vielleicht seinem Hunger. Und in vielen Fenstern flackerte bläuliches Licht.
    In der Tagesschau hieß es abends, dass das Deutsche Rote Kreuz in den vergangenen zwölf Monaten Hilfsgüter im Gesamtwert von 17,3 Millionen D-Mark zur Unterstützung Bedürftiger nach Polen transportiert habe. Ein großer Erfolg sei auch die im Januar angelaufene Aktion Ihr Paket nach Polen , bei der Privatpersonen Päckchen zusammenstellen und dem Roten Kreuz zum Weitertransport übergeben konnten.
    Wiebke tätschelte Falk und mir die Oberschenkel. »Gut gemacht!«, rief sie zufrieden. Die Welt stand am Abgrund, aber wenigstens hatten wir zwei, drei arme polnische Kinder mit unseren Snickers, Smarties und Schlümpfen gerettet.

Brustkolonien – Kronkolonien
    Wenige Tage später verging uns die gute Laune. Wir saßen wie immer abends vorm Fernseher, als die Nachricht von der Eskalation zwischen Großbritannien und Argentinien um die Falkland-Inseln als erste Meldung kam. Die argentinischen Streitkräfte hatten die britische Kronkolonie besetzt, da Argentinien die Souveränität über die Inselgruppe beanspruchte. Thatcher hatte daraufhin

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