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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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brüllten sie zeitgleich los: » Und draußen vor der großen Stadt / stehen die Nutten sich die Füße platt!« Einige Leute drehten sich nach ihnen um; diese Aufmerksamkeit schien ihnen sichtlich zu gefallen. Steffen grinste mich komplizenhaft an. Selten beschwingt ging ich wieder in den Unterricht.
    Am Abend rückte Klaus endlich mit der Nachricht heraus, dass er seinen Geburtstag bei einem Künstler in einem Ost-Berliner Hinterhof am Prenzlauer Berg verbracht hatte. »Ich habe sogar für jeden von euch etwas durch die Grenzkontrollen geschmuggelt! Das war ganz schön haarig!«
    Klaus hatte schon ein paar Mal Kunst aus dem Osten mitgebracht. Immer hatten wir seine Beute wie Schätze einer exotischen Kultur betrachtet; kaum vorstellbar, dass diese Zeichnungen, Gemälde oder winzigen Skulpturen (Klaus konnte natürlich nur sehr kleine Dinge mitbringen) nur wenige Kilometer von uns entfernt angefertigt worden waren und eigentlich gar nicht zu uns hätten kommen dürfen.
    Dieses Mal hatte Klaus für jeden von uns eine postkartengroße Zeichnung von einem Künstler, dessen Namen ich mir nicht merken konnte. Die Zeichnungen waren realistisch, was mich wunderte, denn Klaus war eigentlich nichts abstrakt genug. Auf der Zeichnung für Wiebke war eine rundliche Frau mit feuerrotem Haar und erregtem Gesichtsausdruck zu sehe n – man konnte glauben, der Künstler hätte sie portraitiert. Auf Falks Zeichnung kauerte ein hagerer, großer, rauchender Mann in einer Straßenbahn, die nach »Pommerland ist abgebrannt« fuhr. Auf meiner Zeichnung saßen sich ein koboldartiges freundliches Wesen und ein kleines Mädchen gegenüber und machten sich gegenseitig eine lange Nase. Die Zeichnung gefiel mir sehr.
    Mit Blick hinunter in unseren zugerümpelten Hof dachte ich später, dass der Ost-Berliner Hinterhofkünstler talentierter wa r – und weitaus sparsamer im Umgang mit Platz und Material als seine West-Berliner Pendants.
    Der März kündigte sich gleich am ersten Tag mit einem neuen Graffito im Rattenloch an: Im Märzen die Heere die Pershing bestellt . Von heute auf morgen lagen dort ein Dutzend ausrangierter Zahnarztstühle herum, die so schnell, wie sie gekommen, auch schon wieder verschwunden waren. Einer dieser Stühle baumelte kurze Zeit später als Teil der immer riesiger werdenden Urbanen Collage kopfüber bei uns im Hof und war in Olkpink (so nannten Falk und ich einen bestimmten von Herrn Olk gern verwendeten Farbton) mit den bedeutungsvoll klingenden Worten Sonnenaufgang Weltuntergang besprayt.
    An einem der ersten Märztage wurde in der Tagesschau berichtet, dass konservative Umweltschützer in Bad Honnef um den ehemaligen CDU -Abgeordneten Herbert Gruhl die Ökologisch Demokratische Partei gegründet hatten. Wiebke und Klaus gerieten über diese Nachricht in Streit. Wiebke meinte, dass ökologische Ziele mit Interessen der CDU wie dem »Primat der Industrie« unvereinbar wären und diese komische neue Partei zum Scheitern verurteilt sei. Klaus unkte: »In zwanzig Jahren gibt’s vielleicht mal die grün-schwarz-gescheckte Partei.« Falk und ich begannen vorm Fernseher herumzualbern; als Logo der Partei in spe stellte sich Falk einen Igel mit schwarzen Stiefelchen und Zylinder vor, und ich dachte mir, dass Joschka Fischer dann eines Tages im Anzug aufkreuzen würde. Aber Klaus schüttelte den Kopf. »So weit geht’s dann doch nicht. Die Turnschuhe sind sein Markenzeichen, so was pflegt man doch. Sonst gerät man in Vergessenheit.«
    Falk: »Ach, Blödsinn, Markenzeichen, man hat doch nicht Jahrzehnte lang das gleiche. Du trägst doch auch nicht mehr diese komischen spitzen Sechzigerjahreschuhe, die du auf den alten Fotos anhattest. Ich gehe jede Wette ein, in dreißig Jahren trägt Joschka Fische r – der ist dann wahrscheinlich längst bei der CDU – keine Turnschuhe und Petra Kelly setze sich für die Vertriebenen ein!«
    Wiebke beendete die Diskussion mit den Worten: »Wir sprechen uns dann also 2012 wieder, was daraus geworden ist.«
    Am nächsten Tag ging ich nach der Schule mit zu Fiona. Nach dem Mittagessen schrieben wir wie immer Briefe für Amnesty, bevor wir uns an die Hausarbeiten setzten. Es war wieder kein Gefangener aus Patagonien dabei. Als ich einmal aufstand, um mir Kandiszucker aus Fionas lilafarbenem kleinen Teeschränkchen, das neben ihrem Setzkasten an der Wand hing, zu nehmen, fiel mir zum ersten Mal das Foto auf, das Fiona zwischen kleine Eulen, Radiergummis, Muscheln, Perlen,

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