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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Brot, Butter, Orangenmarmelade, Keksen und einer Packung Chips zu den Pennern. Immer musste ich gehen. Wiebke hockte angeblich über einer Übersetzung, aber ich hörte das Klappern von Stricknadeln aus ihrem Zimmer. Dass sie den Pennern Chips gekauft hatt e … die bekamen Falk und ich fast nie! Als ich über den Parkplatz ging, fasste ich einen Entschluss: Die Chipstüte bleibt bei mir.
    Diesmal saß Erwin in seinem kleinen Verschlag auf der Matratze neben dem Stereotower und dem kleinen E-Herd. »Schön, dass de kommst«, rief er mir zu. Vor lauter Bart konnte man sein Gesicht kaum erkennen.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Hallo!« Ich grinste unsicher. Ohne ein Wort zu sagen, öffnete ich meinen Rucksack und holte die beiden Tüten Studentenfutter, die Haushaltspapierrollen, das Brot, die Butter, die Kekse und die Marmelade heraus. Ich hielt den Rucksack extra so, dass Erwin nicht hineinlinsen und die Chipstüte entdecken konnte. Erwin lobte jedes einzelne Mitbringsel mit dem Zusatz: »Un’ schön’n Dank an die Frau Mutter.«
    Beim Anblick der Kekse wiegte Erwin den Kopf nachdenklich hin und her. »Dit sind die jleichen, die ich jrade in Hannover jejessen hab.«
    »Sie waren in Hannover?«, fragte ich erstaunt. Noch nie war mir die Idee gekommen, dass Karl und Erwin sich auch mal an einem anderen Ort als just auf dieser Matratze befinden konnten.
    »Familjentreffen.« Erwin zuckte die Schultern.
    »Echt? Sie sind zu einem Familientreffen gefahren?«
    »Bin’n zimmlicha Familjenmensch. Schon imma jewesen. Und schön wars ooch. Ick bin jeträmpt. Wejen dit Jeld.«
    Ich wusste nicht, was ich sagten sollte. Ich musste an meine Verwandtschaft und unsere Familienfeste denken. Erwin konnte ich mir kaum in einem Restaurant mit weißen Tischdecken und Butzenscheiben vorstellen. Aber vielleicht waren ja doch nicht alle Leute in Restdeutschland so spießig, wie The Wiebkes and the Klauses immer meinten?
    Erwin schien meine Gedanken erraten zu haben: »Meene Familje is zimmlich tolarant. Die denken, ick verkoof Secendhändsachen in Balin, denken sich nüscht weeta dabei, wie icke so ausseh.«
    »Na, das freut mich für Sie. Und Sie haben ja, wie es scheint, neben dem Secondhandjob noch genug Zeit, um unseren Scirocco zu bewachen?«
    »Na, aba klaro.«
    Erwin bot mir die Tüte Studentenfutter an, aber ich lehnte ab. Ich wusste nicht genau, warum. Ob ich mich doch vor Erwins riesigen, schmutzigen Händen fürchtete? Ich würde mich auch nicht trauen, ihn als Tramper im Auto mitzunehmen. Offenbar waren nicht alle Leute so feige und blöde wie ich.
    Wieder im Hof stolperte ich über Herrn Kanz, der sich mit einer neuen Brust abmühte. Er hämmerte und meißelte an der Brustwarze herum, die aber nicht ganz so hervortreten wollte, wie er sich das vorstellte. Ich hörte ihn vor sich hin fluchen. Auf der anderen Seite des Hofs stand Herr Olk und versuchte, drei rote Anarcholuftballons, die er mit einem Edding zur Hälfte schwarz bemalt hatte, hoch über seiner Urbanen Collage zu befestigen. Einer machte sich mit einem lauten, furzenden Geräusch frei, stieg erst kurz auf, um dann klein und verschrumpelt auf dem Hofboden zu liegen zu kommen. Auch der Olk fluchte vor sich hin. Man hatte das Gefühl, dass die beiden einander angestrengt ignorierten. Die Weihnachtsdekoration der Pechs hatte endlich aufgehört zu flackern.
    Beim Abendbrot beschwerte sich Klaus, dass sich schon wieder jemand an der Klingelanlage vertan habe; immer waren es volltrunkene Leute oder Frauen mit schrillen Stimmen, die zu »Piet« wollten oder gleich losquasselten, obwohl mein Vater sich mit »Hier Zürn« gemeldet hatte. Einmal hatte ein Mann gesagt: »Hal t – blo ß – di e – Klapp e – weje n – di e – Kohle«, danach ging er fort. Ein anderes Mal hatte eine Frau aufgelöst in die Gegensprechanlage geschrien: »Alles wird gut, du Schwein!«
    Wiebke behauptete, der Hauser hätte den Gepäckträger ihres Fahrrads geklaut. »Den halben Tag lungert der untätig auf dem Hof rum, schraubt an seinem Angebermotorrad, der hat einfach nichts Besseres zu tun«, war ihr Kommentar dazu. Auch ärgerten sich Wiebke und Klaus darüber, dass der Hauser nachts mit klappernden Flaschen zum Container lief. Wiebke und Klaus waren sehr ruhebedürftig. Weil sie beide »geistig arbeiten«, wie sie gern betonten, bräuchten sie eine »ruhige Umgebung«. Einmal hatte ich gefragt, warum wir dann ausgerechnet in Berlin wohnten und nicht im Taunus wie Oma Helene.

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