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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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die diplomatischen Beziehungen zu Argentinien abgebrochen und, wie wir hörten, heute Marineeinheiten zu den Inseln entsandt. Somit war ein neuer Krieg ausgebrochen. Ich war überrascht, dass er zwischen zwei westlichen Staaten stattfand, mitten im Kalten Krieg. Natürlich hatte es mich schon zuvor erschreckt, den Namen diese Inselgruppe am Rande der Welt, aus »meinem« Südamerika, so oft in den Nachrichten zu hören.
    Das Erste, was Falk nach der Meldung sagte, war: »Was? Krieg auf den nach mir benannten Inseln? Habe ich da nicht auch ein Wörtchen mitzureden?«
    Wir hatten die Mauer um uns herum, die DDR in unmittelbarer Nähe, die Russen vor der Tür, in Polen war der Ausnahmezustand verhängt worde n – aber wo knallte es? Ganz unten auf meinem Globus, dort, wohin ich auswandern wollte.
    Klaus, Wiebke, Falk und ich saßen nahe beieinander vorm Fernseher. Der Schreck und wohl auch die Angst schweißten uns für einen Moment zusammen. Klaus legte seinen Arm um Wiebke, und sie kuschelte sich an ihn. Als Bilder von aufsteigenden Kampfflugzeugen gezeigt wurden, nahm Falk kurz meine Hand. Nach dem Wetterbericht kochte Wiebke Kakao und öffnete eine neue Tafel Schokolade aus Belgien, die Klaus von einer Dienstreise mitgebracht hatte und die sie schon lange hortete. Es war erschreckend, wie gemütlich Krie g – im Fernsehe n – sein konnte.
    In den nächsten Monaten, bis zum Ende des Falkland-Kriegs Mitte Juni, ließ Falk in jedes Gespräch den Satz einfließen: »Der Krieg auf den nach mir benannten Insel n …«
    Einmal fragte Klaus: »Und welches Land gehört eigentlich mir?«
    Falk hatte prompt etwas parat: »Klauslan d – vielmehr: der Restklaus.«
    Für mich fiel eine pazifische Inselgruppe ab, die Falk die Julikullen nannte und auf denen, wie er sagte, ganz viele »Rockertierchen« mit langer Fransenmähne, krummer Nase und Lederhaut lebten. Wenn man »Hauser« rief, was in der Sprache der Einheimischen so viel wie Volltrottel hieß, würden sie anfangen zu tanzen und Mätzchen zu machen. So blödelten wir nach jeder Nachricht über den Falkland-Krieg, manchmal eine Spur zu gemein, oft eine Spur zu hysterisch.
    Herr Kanz hatte heute, am Karfreitag, aus einer großen Brust zwei kleine gemacht. Ob das ein Fortschritt war? Ich war mir nicht so sicher. Herr Kanz verkaufte seine Brüste immer besser, schien mir. Letztens hatten wir auf einem unserer sonntäglichen Kunstausflüge eine Brust von Herrn Kanz gesehen, die einen eleganten Schöneberger Hinterhof ziert e – und zwar als Springbrunnen. Das Wasser spritzte aus der Brustwarze.
    Wiebke fand den Brustspringbrunnen spontan »sehr schön«, Klaus jedoch »geschmacklos«. Auf der anschließenden Autofahrt hielt er einen Vortrag, in dem er argumentierte, dass zwischen einem Symbo l – nämlich dem der mütterlichen Brus t – und einem Kunstwerk doch Welten lägen. Ein Symbol könne man unendlich oft reproduzieren, ein Kunstwerk eben nicht. Hier schaltete sich Wiebke ein und argumentierte mit Warhol und anderen Konzepten der seriellen Kunst. Erst die Meldung, dass Robert Havemann gestorben sei, brachte ein anderes Thema auf.
    Das anschließende Gespräch über »guten« und »schlechten« Kommunismus oder auch den merkwürdigen Gegensatz zwischen »guter« Theorie, für die Havemann in den Augen meiner Eltern gestanden hatte, und »böser« Praxis nahm konfuse Formen an. Im Radio hieß es, Havemann habe die DDR trotz Lehrverbots und Hausarrests nicht verlassen wollen.
    Abends im Bett, als ich versuchte einzuschlafen, war ich wieder einmal gezwungen, die gottverdammte Polonäse aus dem einen Seitenflügel und Das Polenmädchen von Heino aus dem anderen mit anhören zu müssen. Mit Pechs und der Koderitz in einem Haus hätte Havemann seine Meinung bestimmt geändert.
    Der Hauser war unterwegs, sein Motorrad stand nicht im Hof. Wer weiß, wo er war. Vielleicht auf Reisen? In mein Heft malte ich ein schwarzes Quadrat. Ich sparte die Form eines Fragezeichens darin aus.
    Spät in der Nacht hörte ich vom Hof her ein Poltern und Rumpeln. Im Seitenflügel ging Licht an und bald danach in Hausers Zimmer. Und dann leuchtete endlich das hawaiianische Abend- oder Morgenrot in unseren Hof. Ich stand mit meinem Minifernglas am Fenster. Der Hauser lag nackt auf seinem Bett, fraß Würste und sang laut Hoy no me puedo levantar . Die Welt war nicht ganz verloren.
    Am Ostersonntag suchten wir wie jedes Jahr auf, über, unter, hinter und in den vielen Kunstwerken in unserer

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