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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Maulwurf ist unter uns
    Schon waren die Osterferien vorbei. Die Schule kündigte sich auf dem Küchentisch mit Wiebkes Scheiblettenstulle für mich an. Diesmal warf ich die Stulle kurzerhand in die Mülltonne. Kaum hatte ich unseren Hof verlassen, hatte ich schon ein schlechtes Gewissen deshalb.
    Auf dem Oberdeck des Busses streckte ich mich auf der Rückbank der Länge nach aus. Dann sah ich Wiebke vor meinem inneren Auge, wie sie eben mit langen zerzausten Haaren und in ihrem von Anna geschneiderten und gebatikten Hausmantel mit müdem Gesicht in der Tür gestanden hatte. Eine Mutte r – wie die von Lariss a –, die immer mit ihrer Tochter konkurriert, wer nun die Schönere ist, wäre mir keinesfalls lieber als Wiebke mit ihren Hosenröcken und ihrer Riesendose Nivea. Außerdem war Wiebke wenigstens ehrlich, man wusste, woran man bei ihr war. Wenn Larissa über ihre Mutter sprac h – sie schwärmte nur von ih r –, hatte man das Gefühl, sie meine eine berühmte Schauspielerin oder Sängerin, so fremd schien sie ihr zu sein.
    Dafür waren The Wiebkes and the Klauses leider oft genug widersprüchlich. Wiebke glaubte an Reformpädagogik und ein Höchstmaß an Freiheit für Kinde r – aber auch an ein Höchstmaß an Freiheit für Erwachsene, und das schloss sich zum Teil gegenseitig aus. Auch in anderen Belangen war sie widersprüchlich: An einem Tag durfte man die Schule schwänzen, und Wiebke zuckte desinteressiert mit den Schultern, am nächsten verurteilte sie das.
    Und was Klaus »mondän« oder »provinziell« fand, schien Falk und mir oft in höchstem Maße stimmungsabhängig. An einem Tag war die Idee, mehr Häuser mit Solardächern auszustatten, zukunftsweisend, am nächsten ein Beispiel für böse Als-ob-Politik, bei der nicht daran gedacht werde, die Energieverschwendung an sich einzudämmen.
    Aber bei allem Genörgel hatten unsere Eltern doch immer ein Ziel vor Augen. Und ich? Was wollte ich? Ich wollte die Träume anderer Menschen deuten oder Kakteenzüchterin werden. Oder Patagonien-Reiseführeri n – abhauen, verschwinden, am liebsten mit dem Hauser. Oder eher wie der Hauser. Ich wusste nicht, was ich wollte.
    Es verletzte mich, von den Mitschülerinnen als »zurückgeblieben« bezeichnet zu werden, nur weil ich nicht so aufgedonnert aussehen wollte wie sie. Musste man denn so aussehen, um vom Mädchen zur Frau zu werden? Irgendwann würde ich wahrscheinlich schon gern »Sex haben«, aber allein das Wort »sexy« fand ich schon grässlic h … Und da war unsere Haltestelle.
    In Chemie landete ich diesmal mit Fiona in einer Gruppe, nachdem Herr Knecht, der langsam von bedenklichen Sehstörungen befallen zu werden schien, Fiona, die ein sehr dunkler Typ war, mit einer neuen türkischen Mitschülerin namens Dilara verwechselt e – diesen Namen konnte er sich gar nicht erst merken.
    Heute sollten wir Fruchteis herstellen. Herr Knecht hatte Apfelkompott aus seinem Keller mitgebracht. Das war etwas für kleine Kinder, aber wenigstens hatte ich dann in der Pause etwas zu essen, da mein Scheiblettenbrot ja in der Tonne gelandet war. In meiner Jackentasche war noch etwas verkrümeltes Esspapier, das ich mit Isa und Fiona immer für zwei Pfennig pro Blatt beim Kiosk in der Nähe unserer Schule kaufte.
    Die ersten fünfzehn Minuten hielt Herr Knecht eine lange, stockend vorgetragene Rede über seine gärtnerischen Fähigkeiten und die seltene Apfelsorte, die seine Frau und er züchteten. Schließlich verrührten wir Wasser und Zucker. Dass wir bei Herrn Knecht in einem Kochkurs landen würden, hätte ich nicht gedacht. Steffen grinste mich vom anderen Ende des Raums an. Er war mit Sena, die von Pepita getrennt worden war, in einer Gruppe. Fiona pürierte gerade die Äpfel, Isa schnitt Aprikosen klein. Auf einmal stand Steffen neben uns. »Wir haben drüben schon fertig geschnippel t … «
    »Wassereis ist langweilig, ich hätte es netter gefunden, wir machten Softeis oder so. «
    »Wusstet ihr, dass Margaret Thatcher an der Entwicklung des Softeises mitgewirkt hat?«, fragte Steffen uns.
    »Was? Ausgerechnet die Iron Lady hat das Softeis erfunden?«, staunte Isa.
    »Die sieht nicht so aus, als würde sie viel Süßkram esse n …«, meinte Fiona nur.
    »Naja, erfunde n – sie war mit dabei.«
    Steffen erzählte von Thatchers Chemiestudium in Oxford und ihrer Arbeit als Chemikerin. Doch über ihre Beteiligung an der Erfindung des Softeises hörte man weitaus weniger als über ihre Ideen, den

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