Hausers Zimmer - Roman
Ein- und dasselbe Haus, in dem mir meine Mutter einen Splitter aus dem Zeigefinger zog und ihn vorsichtig mit Alkohol abtupfte und in dem der Hauser seinen Kopf zwischen den Brüsten seiner wechselnden Geliebten vergru b … Ich konnte nichts mehr denken. Badewanne, Bett. Schlafe n … doch ich konnte auch nach dem Bad nicht einschlafen. Schon in der Badewanne kamen mir eigentümliche Gedanken. Unser Bad war lang, schmal, meist eiskalt, weshalb man das Wasser so hoch wie möglich in die Wanne einlaufen ließ, um nur noch mit der Nasenspitze herauszulugen. Trotz der hohen Wände fühlte man sich hier eher beengt, weil es so absurd schmal war. Zudem baumelte an unserer Badezimmerdecke ein Kunstwerk, von dem ich fürchtete, dass es mir eines Tages auf die Nasenspitze fiele, auch wenn sich die Verletzungsgefahr in Grenzen halten würde: Die Arbeit hieß Der Held ist unter uns und war von einem Kreuzberger Künstler, der wie ein Maulwurf aussah und seine Wohnung in ein unbegehbares Labyrinth verwandelt hatte, weshalb Falk die Arbeit Der Maulwurf ist unter uns nannte. Sie bestand aus einer Reihe von Fußbällen, die bis auf einen rot angesprayt waren und Nummern trugen. Die Bälle hingen in einem Fischernetz, wie sie oft mit Pappmaschémeerestieren und zerbrochenen Krügen gefüllt in Restaurants von der Decke hingen. Zwischen den Fußbällen lag ein riesiger aufgeblasener Plastikhaifisch. Nachdem Klaus und Wiebke die Arbeit gekauft hatten, hatte es lange Gespräche mit Freunden wie Herrn Wiedemann, Anna und anderen gegeben, in denen darüber gerätselt wurde, ob die Arbeit als Kritik an den Kommunisten zu verstehen sei und der »Held« der nicht rote, nicht nummerierte, antitechnokratische, stinknormale Spaßfußball sei, oder eben doch der Ha i – was Klaus die Gelegenheit gegeben hatte, seine Enzensberger-Kenntnisse zum Besten zu geben, indem er aus der Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer zitierte und meinte, man könne eben vom Räuber ebenso wenig wie von der Welt erwarten, dass sie sich änderten.
Jedenfalls hatten die Bälle und der Hai in unserem Bad mittlerweile alle an Puste verloren. Ihr Anblick war deprimierend. Da es mühselig war, an die Decke heranzukommen, blieb Falks Vorschlag, Bällen und Hai wieder mehr Leben einzuhauchen, bislang unverwirklicht. Beim sonntäglichen Kunstwerkeabstauben hatte jeder von uns das Ding bisher aus Bequemlichkeit ausgelassen. Außerdem war Klaus am Hadern, ob dies nicht ein unzulässiger Eingriff in das Meisterwerk des Maulswurfs se i – den müsse man erst fragen; aber das scheiterte daran, dass der Maulwurf sich nach mehreren Versuchen der Kontaktaufnahme von Klaus nicht mehr meldete. Was den himmelweiten Unterschied zwischen den Spraywerken des Olks und denen des Mauwurfs ausmachte, hatte sich mir noch nicht erhellt. Aber ich wollte meinen Vater nicht wieder kränken, und vielleicht gab es da ja auch etwas ganz Besonderes, für das ich keinen Blick hatte, und so behielt ich meine Gedanken für mich. Und guckte nach oben zu den spinnwebenverhangenen schlappen Helden und fragte mich, wie es sich anfühlen würde, wenn das ausgeleierte Netz risse. Ich steigerte mich da richtig hinein. Eines Tages würde ich auch noch vor Herrn Hülsenbeck sitzen, ganz sicher.
Am nächsten Tag war ich krank. Erschöpft lehnte ich am Fenster und blickte auf den klobigen Sechzigerjahreblock. Schwarzgefleckt vom ewigen Regen ragte das Mottenmuseum über die anderen Häuser, die signalrot und pissgelb gerahmten Fenster waren winzig, Balkons gab es nicht. In meiner Phantasie wurde der Klotz immer größer, die Fenster verwandelten sich in blutunterlaufene Augen, die mich anstarrten.
»Un d … was findest du an ihm?«
Erschrocken drehte ich mich um. Hinter mir stand Falk, schon am frühen Morgen eine seiner Selbstgedrehten in der Hand. Seine Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen, er sah blass aus. Unwillkürlich legte ich eine Hand auf seinen Arm. Mein Bruder schüttelte sie ab, aber ich merkte, dass es ihm schwerfiel. Wir sahen uns an. Leise begann ich zu weinen. »Ic h … ich weiß nicht.«
Das war alles, was ich antworten konnte. Im Radio lief Markus’ Hit Ich will Spaß . Ich begann diesen Song richtiggehend zu hassen. Immer sollte man Spaß haben. Ich wollte nicht Spaß, sonder n – ja, was eigentlich?
»Ich finde ihn nicht so schlecht wie Wiebke und Klau s … abe r … irgendwie bringt’s das nicht.« Ich drehte mich um, den Rücken zu Falk, das Gesicht an die kalte Scheibe
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