Hausers Zimmer - Roman
Moment, wo Steffen fast vor mir stand, drehte ich mich um und ging zu Fiona. Nicht, dass mich das Gespräch über Adidas versus Puma (die einen wie die anderen würden Wiebke und Klaus mir sowieso nie kaufen), besonders interessiert hätte. Melanie sah mich keine Sekunde an, während sie redete. Ich beobachtete sie eine Weile. Während sie Monologe hielt, bei denen sie niemand unterbrach, ließ sie ihren Blick von einer Person zur nächsten gleiten, nur mich überging sie völlig. Ich gähnte einmal laut und sagte: »Wie kann man nur geschlagene zehn Minuten über Turnschuhe labern!« Plötzlich waren alle still. Ich erwartete, eine gemeine Bemerkung vor den Latz geknallt zu bekommen, aber nichts passierte. Langsam fingen die Leute wieder an zu reden.
In der S-Bahn stand ich allein und schaute aus dem Fenster. Ich bemerkte wieder Steffen, dessen Gesicht sich in der Scheibe schwach spiegelte. Unsere Blicke begegneten sich kurz, aber ich schaute gleich weg. Er war gekränkt, weil ich ihn vorhin überhaupt nicht gegrüßt hatte. Konnte man ja verstehen. Ich überlegte. Dann gab ich mir einen Ruck und drehte mich um. An seinem Blick erkannte ich, dass er mich die ganze Zeit beobachtet hatte. Er saß allein auf einer Bank, ich setzte mich neben ihn. Drüben in dem anderen Waggon quetschten und drängelten sich alle, hockten einander auf dem Schoß, was gerade in war in unserer Klasse.
»Sorry, ich war vorhin schlecht gelaunt, bin überhaupt schlecht gelaunt«, sagte ich.
»Schon gut«, murmelte Steffen. Wir schwiegen uns an.
»Ic h … ich fand das sehr gut, was du Melanie gesagt hast«, meinte er.
»Oh, das freut mich, aber das werden die mir heimzahlen.« Ich scharrte mit meiner Sohle auf dem Gummiboden herum.
»Aber du kannst dich doch gut wehren!« Es klang, als sei er sehr überzeugt von dem, was er sagte.
Ich blickte ihn an. »Meinst du, ja?«
»Ja, das tust du doch immer, du bist doch die Einzige hier, die nicht zu allem Unsinn immer Ja und Amen sagt.«
Ich sah Steffen erfreut an. So etwas Nettes hatte mir lange niemand mehr gesagt. Ich kickte seinen Schuh mit meinem Schuh an und grinste. Plötzlich war es wieder einfacher, mit ihm zu reden.
Schließlich waren wir am Bahnhof Friedrichstraße angekommen. Wir durften nur mit einem Passierschein, nicht mit unserem Reisepass einreisen. Und wir mussten Geld wechseln. Alle in meiner Klasse amüsierten sich über die leichten DDR -Münzen.
»Wiegt ja nicht mehr als Spielgeld!«, rief Rolf.
Ich drehte ein Eine-Mark-Stück neugierig in meiner Hand. Tatsächlich, da waren Hammer und Zirkel drauf.
Über uns flogen einige Tauben. Ich bildete mir ein, so etwas wie leisen Spott in ihren Augen lesen zu können.
Endlich hatten wir den Grenzübergang passiert und standen in der Friedrichstraße. Frau Schwundtke verkündete, dass wir das Rote Rathaus und den Dom besichtigen würden, auch den Palast der Republik als Beispiel sozialistischer Schundarchitektur wollte sie uns zeigen, danach stand das Pergamonmuseum auf dem Programm. Und zu guter Letzt zum Alexanderplatz. Dort sollte es ins Restaurant auf dem Fernsehturm gehen. Danach könnten wir noch versuchen, im Centrum-Warenhaus unser Geld loszuwerden. Das Ding hatte eine unglaubliche Aluminiumwabenfassade, die mir Eindruck macht e – ein Ufo-Pendant zum West-Berliner ICC gewissermaßen. Beide Gebäude eröffneten in den Siebzigerjahren. Über zwanzig Jahre später sollte ich den Fassadenabriss des nunmehr Galeria Kaufhof genannten Warenhauses sehr bedauern.
»Wie?«, kreischte Larissa. » Versuchen , unser Geld loszuwerden? Was Einfacheres gibt’s doch wohl nicht, oder?«
Frau Schwundtke lächelte überlegen. »Das hier ist ein anderes Land, ein Land mit weniger Wohlstand, wo nicht überall proppenvolle Regale auf einen warten.«
»Nicht?«, empörte sich Rolf.
»Wir haben doch schon mal darüber gesprochen: Es gibt die Erste, die Zweite und die Dritte Welt. Die westlichen Industrienationen, wo es den Menschen am besten geht, bilden die Erste Welt. Der Ostblock gehört zur Zweiten, erinnert ihr euch?« Frau Schwundtke sah uns durchdringend an.
»Und zu welcher Welt gehört Patagonien? Und das von den Sowjets besetzte Afghanistan? Ist das nicht schon Dritte Welt?«, fragte ich meine Lehrerin. Frau Schwundtke runzelte die Stirn und antwortete mir nicht.
»Ich würde euch empfehlen, euer Geld in Bücher zu investieren, kauft nicht nur Flaggen und diesen Unsinn!«, rief sie stattdessen.
Während wir durch die
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