Hausers Zimmer - Roman
bin kein FDJ ler.« Steffen klang gehetzt.
»Erst ümma lügen und Scheiße bauen, und jetzt noch nich ma’ dazu stehen!« Der Mann trat noch näher an Steffen heran und hob einen Arm. Ich roch seine Bierfahne. Steffen trat ängstlich ein paar Schritte zurück. Doch dann ließ der Typ den Arm sinken und torkelte zurück in den Laden, aus dem er gekommen war. Steffen und ich starrten ihm hinterher.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn.
»Finster!«, entfuhr es ihm nur.
»Lass uns was essen, ein Eis oder so«, hörte ich mich sagen.
Steffen und ich trabten die Straße hinunter. Schließlich fanden wir tatsächlich ein kleines Restaurant. Wir wollten uns gerade an einen der vielen freien Tische setzen, da eilte eine Bedienung zu uns: »Bitte warten!« Steffen und ich warfen uns perplexe Blicke zu. Der Laden war zu drei Vierteln leer! Man ließ uns aus unerfindlichen Gründen zwanzig Minuten warten, dann geleitete man uns zu einem kleinen Tisch. Warum wir nun gerade an diesem und nicht an einem anderen Platz nehmen sollten, leuchtete mir nicht ein. Dann fiel mir ein, dass ich Ähnliches mit meinen Eltern in Dresden erlebt hatte. Steffen und ich blätterten in der Karte. Die Auswahl war nicht so gering wie erwartet, merkwürdig nur, dass überall stand: »Mit Sättigungsbeilage.« Steffen erläuterte mir, was gemeint war. Ich blieb jedoch bei meinem Eis, und Steffen trank nur einen Kaffee. »Einen starken«, sagte er der Kellnerin, die uns neugierig musterte, aber mir schien, der Kaffee, den er dann zu trinken bekam, war nicht sehr stark, denn Steffen machte eine Grimasse, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Mein Eis, Schoko und Vanille, war in Ordnung. Das schmeckte im MeinEck oder im Lochow auch nicht besser. Aber vorsichtshalber schüttete ich noch einige Ahoj-Brausekrümel (ich hatte mir extra ein Tütchen nach Ostberlin mitgenommen) darüber. Das Grün sah auf allem gut aus. Wie Eis von einem anderen Stern.
Es war zehn vor fünf, als wir auf die Uhr guckten. Um fünf sollten wir am Übergang Friedrichstraße sein. Steffen und ich bezahlten und eilten hinaus. Über uns flogen die dunkelgrauen, immer leicht zerrupft aussehenden Berliner Taube n – vielleicht waren es sogar die gleichen, die bei uns über dem Schulhof ihre Runden zogen oder über dem Rattenloch. Sie segelten am Himmel, dick wie Putten, lasen von oben kopfschüttelnd unsere Zeitungen und machten sich über unsere Grenzanlagen lustig.
»Steffen, wir brauchen mindestens eine halbe Stunde!«, seufzte ich. Steffen nickte: »Wir werden volle Kanne zu spät kommen!«, und legte einen Schritt zu. Ich dachte gar nicht daran, dem Eilschritt seiner Giraffenbeine zu folgen. Ich begann, den Gedanken wunderbar zu finden, dass der Rest der Klasse auf uns wartete und sich fragte, wo wir steckten. Steffen verlangsamte seinen Schritt: »Tut mir leid, ich vergesse immer, dass meine Beine nicht das Maß aller Dinge sind.« Was für ein geschliffener Satz. Ich lief gleich noch langsamer. Es dauerte eine Weile, bis wir am Alexanderplatz waren. Nun mussten wir noch die U-Bahn finden, die zur Friedrichstraße fuhr. Hilflos standen wir in den riesigen Hallen.
»Komm, wir laufen«, strahlte ich Steffen an. Aber der schien Angst vor Frau Schwundtke zu haben.
»Nee, dann kommen wir ja nie an, außerdem kennen wir uns hier nicht au s … «
Er fragte einen Passanten nach der U-Bahn Richtung Friedrichstraße. Und bekam leider den Weg gezeigt. Ich ärgerte mich, dann hechtete ich Steffen hinterher, der jetzt weniger Rücksicht auf meine nicht maßstabgerechten Beine nahm. Sieben Minuten später waren wir da, und ich sah schon den Pulk unserer Klassenkameraden.
»W o – war t – ih r – denn?«, schallte es uns entgegen. Die feixenden Gesichter. Sie dachten, wir hätten uns davongestohlen, um als Pärchen allein zu sein. Wenn die wüssten, was wir erlebt hatte n … Steffen und ich warfen uns einen komplizenhaften Blick zu, dann gingen wir zu den anderen, ohne ein Wort zu sagen.
»Ja, wo wart ihr denn?« Frau Schwundtke war empört. Wir schwiegen.
»Wir warten hier seit einer halben Stunde und haben euch schon ewig im Pergamon gesucht!«
Alle guckten uns groß an. Wir sahen an die Decke, grinsten. Schließlich wurde es Frau Schwundtke zu bunt: »Los, anstellen! Die Passierscheine!«
Zu Hause angekommen, klingelte ich bei Hülsenbecks. Isa war da und hatte ihr Kaninchen auf dem Arm. Es sah friedlich aus und machte grunzende Geräusche. Es hatte eine
Weitere Kostenlose Bücher