Hausmaestro - Kriminalroman
einer solchen Ausnahmesituation können einem schon einmal die Nerven durchgehen. Immerhin war Maurer ja ein großer Künstler!«, antwortete Grill ein wenig zu pathetisch.
»Jetzt hätte ich noch eine Frage zum Abschluss, auch diese rein routinemäßig, wo waren Sie heute Nacht zwischen 23 und ein Uhr?«
»Zu Hause und im Bett, wie die meisten anständigen Bürger auch!«, rief Grill fast fröhlich aus.
»Gibt es dafür Zeugen – auch dies ist reine Routine … «, fuhr Walz lächelnd fort.
»Nein, leider nicht. Ich lebe schon seit Längerem allein, daher müssen Sie sich auf mein Wort verlassen«.
»Kammersänger«, schnaubte Vogel verächtlich, nachdem sie das Haus verlassen hatten, »ist das so etwas Ähnliches wie Kammerjäger? Der ist ja nicht zum Aushalten. Ein richtiger Stutzer. Hoffentlich sind die anderen angenehmer.«
»Der war ja auch ein Tenor, übrigens kein besonders guter noch dazu. Das sind die Schlimmsten. Profilneurotiker eben. Soweit ich mich erinnere, kann es nur besser werden. Auf der Liste haben wir jetzt noch zwei Bässe und einen Bariton«, antwortete Walz, auf seine Armbanduhr schauend. »Es ist schon halb sechs, und eigentlich war genug los. Lassen wir’s für heute?«
»Gut, aber eine kleine Fleißaufgabe hätte ich noch für dich. Könntest du, während ich dich durch Wien chauffiere, noch die anderen drei Sänger anrufen und mit denen für morgen Vormittag ein Termin ausmachen?«
Walz nutzte also die Zeit, in der Vogel sich durch den dichten Berufsverkehr in die Josefstadt quälte, und nahm sein Mobiltelefon zur Hand.
Zuerst wählte er die Nummer von Johann Misic, der in der ›Traviata‹ eine etwas größere Rolle zu singen hatte als Grill, er stellte Violettas Arzt, Dottore Grenvil dar. Walz kannte Misic noch aus seiner Zeit als Statist. Er war ein echter Singschauspieler, ohne den kein großes Opernhaus auskommt. Immer für ein scherzhaftes Extempore bereit, galt er als richtiges Urgestein, dessen nahender Pensionierung die Opernfreunde mit Bangen entgegensahen.
Misic, der auf Walz’ Anruf ziemlich überrascht reagierte, hatte am nächsten Vormittag leider keine Zeit, aber ebenso wie Grill gerade seinen freien Abend, da an der Oper ein Ballett gegeben wurde. Allerdings wohnte er in Perchtoldsdorf, einem Vorort im Süden Wiens, der bei den Einheimischen vor allem durch seine zahlreichen Heurigenlokale ein beliebtes Ausflugsziel ist. Er jedenfalls sei heute ab 18 Uhr beim Zechmeister in der Hochstraße anzutreffen. Wenn Walz nicht in Uniform käme und keinen Haftbefehl vollstrecken wolle, wäre er willkommen, teilte ihm Misic launig mit.
»Ungeachtet meiner großen Müdigkeit erkläre ich mich dazu bereit, heute Abend eine Fleißarbeit auf mich zu nehmen und noch eine Vernehmung durchzuführen«, teilte Walz seinem Kompagnon mit, nachdem er das Gespräch beendet hatte.
»Was hat dich zu diesem bemerkenswerten Sinneswandel bewogen, o du mein Walz?«, fragte Vogel verwundert.
»Wie ich gerade erfahren habe, hat der Zechmeister in Perchtoldsdorf ausg’steckt, und da meine Clara heute Abend ebenfalls frei hat, werde ich den schönen Frühlingstag ausnutzen und mit ihr im Cabrio eine kleine Landpartie unternehmen. Ja, und der Misic ist zufällig auch da … «
»Das trifft sich ja wunderbar. Könntest du bitte zuvor aber noch die beiden anderen Sänger anrufen? Es dauert eh noch eine Weile, bis wir da sind.«
Der nächste auf der Liste war Wassilij Kronjew, ein bulgarischer Bass, der in der ›Traviata‹ den Marchese d’Obigny zu verkörpern hatte. Ihn kannte Walz nur vom Namen her, da er erst in der letzten Spielzeit engagiert worden war.
Wie sich bald herausstellte, waren Kronjew wie sein ebenfalls neu engagierter Kollege Agron Mirgu, der den Barone Douphol darstellte, heute Abend auch beim Zechmeister anzutreffen.
»Angesichts dieser Massierung an Verdächtigen sollten wir vielleicht gleich Verstärkung anfordern«, grunzte Vogel, »bist du sicher, dass du es allein schaffst? Ich habe, offen gestanden, nach diesem einmaligen Erlebnis mit unserem Kammersänger keine allzu große Lust, gleich drei von diesen Gestalten zu begegnen. Außerdem habe ich noch einen größeren Abendspaziergang mit meiner Emily vor mir.«
»Mit der Clara werde ich das schon schaffen, auch wenn mir dieser kollektive Heurigenbesuch nicht ganz geheuer ist. Vielleicht feiern die gar das plötzliche Hinscheiden unseres Dirigenten? Das würde mir, und vor allem meiner Clara, gar nicht
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