Hausmaestro - Kriminalroman
darüber gewundert hatte, dass er sich für den Spaziergang nicht umzog, hatte er einfach entgegnet, er habe keine Lust dazu, außerdem herrsche heute eh trockenes Wetter.
Michelle hingegen war genauso funktionell angezogen wie am vorigen Abend, mit nicht mehr ganz sauberen Jeans und einem grauen Sweat-Shirt mit Kapuze – wie man eben auf einen Hundespaziergang geht.
Das Problem an einer Verabredung, die man nicht mündlich getroffen hat, ist der Tonfall, in dem man dem anderen begegnet. Das wurde Vogel in dem Moment schlagartig bewusst, als Michelle lächelnd auf ihn zu geschlendert kam.
Sollte er sie duzen oder siezen?
Sie zur Begrüßung auf die Wange küssen?
Ihr die Hand geben oder sich nur verbeugen?
Darüber hinaus war er gut 15 Jahre älter als sie.
Vielleicht ging sie nur nicht gerne allein spazieren …
Und mit verklemmtem Altmännercharme wollte er keineswegs aufwarten.
Da jedoch der Umgang mit der Sprache während der letzten Jahrzehnte gottlob nachlässiger geworden war, kam ihm die rettende Idee.
Er sagte lediglich: »Hallo, Michelle!«Und lächelte.
Sie sagte: »Hallo, Kajetan!« Und lächelte zurück.
Der erste Schritt war also getan.
Der Hörndlwald ist ein Treffpunkt der Hietzinger Hundebesitzer, deren Caniden verständlicherweise der Besuch des direkt angrenzenden Lainzer Tiergartens, wo etliche Wildschweinpopulationen ihr öffentliches Dasein fristen, verwehrt war. Besonders das Gebiet rund um das ziemlich verfallene Josef-Afritsch-Heim atmet den Geist des morbiden Wien, in dem das Sterben einen solchen Stellenwert einnimmt wie wohl nirgends sonst auf der Welt. Die zu Beginn der 50er-Jahre erbaute Siedlung, zu ihrer Zeit eine der wenigen architektonischen Attraktionen der in dieser Hinsicht doch eher freudlosen Jahre, war ursprünglich als Jugendheim geplant gewesen und auch als solches bis in die 60er-Jahre hinein genutzt worden. Unterdessen war es allerdings so heruntergekommen, dass es den Jugendlichen nicht mehr zugemutet werden konnte und von den Behörden zu einer Heimstatt für Flüchtlinge und Asylwerber umfunktioniert worden war, was dem Ganzen etwas Unwirkliches gab, zumal es sich inmitten eines Naherholungsgebiets in bester Wiener Lage befand.
Dorthin wollten sie also gehen.
Nach einigen Belanglosigkeiten über die Eigenheiten ihrer vierbeinigen Lieblinge, in deren Verlauf Michelle sich gewundert hatte, dass Kajetan sie siezte, drohte das Gespräch langsam zu versiegen.
Doch da war Vogel davor. »Seit wann gibt es eigentlich dieses Forum für Tierfreunde? Vor unserer Begegnung habe ich nie davon gehört.«
»Ich bin auch noch nicht so lange dabei. Ich hab darüber in irgendeiner Tierzeitschrift gelesen und mich eigentlich nur eingeloggt, um mit anderen Mops-Besitzern in Kontakt zu kommen. Und jetzt benutze ich es ganz gerne, wenn ich einen Partner zum Äußerlngehen suche, wie zum Beispiel dich«, sagte sie schmunzelnd, »auch wenn es in deinem Fall mein kleiner Bruno war, der dich ausgesucht hat.«
Zum Äußerlngehen, soso, dachte sich Vogel, während er sie von der Seite musterte. Es kann ja nicht immer gleich im Bett enden, außerdem falle ich für sie wahrscheinlich eh schon in die Rubrik Gammelfleisch.
»Und du schreibst in deinem Profil, du wärst in der Versicherungsbranche tätig … «
»Ja, aber das ist eigentlich völlig uninteressant. Ich bin halt einfach bei einer Versicherung angestellt. Das ist ein reiner Bürojob.«
»Theoretisch ist das bei mir ja genauso«, erwiderte Vogel, in der Hoffnung, dass sie interessiert nachfragen würde.
»Auch bei einer Versicherung?«
»In sehr übertragenem Sinne«, sagte Vogel möglichst gleichmütig.
Endlich blieb sie stehen und schaute ihn an. »Und das heißt?«
»Ich bin Kriminalinspektor beim LKA«, antwortete er nicht ganz wahrheitsgemäß, wenn auch im Moment durchaus zutreffend.
»Wow, das klingt ja echt spannend«, fand Michelle, ihn endlich etwas genauer betrachtend. »Aber was tust du beim LKA, jagst du Verbrecher, wie im Fernsehen?«
»Ja, in erster Linie Mörder und ähnliches Gelichter, was halt gerade so anfällt«.
»Das muss ja irre aufregend sein. Und wie ist ein Mörder so?«
Obwohl Vogel, wenn die Sprache auf seinen Beruf kam, immer dieselben Fragen zu beantworten hatte, tat er es in diesem Falle ausnahmsweise mit Genuss. »Vor der Verhaftung gefährlich, und danach, wenn wir Glück haben, hinter Gittern … «
»Jetzt mal ganz im Ernst, wie unterscheidet sich ein Mörder von dir
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