Hausmaestro - Kriminalroman
zur Versicherungskauffrau gemacht. Ich bin unverheiratet und teile meine Garçonnière mit meinem Bruno. Ich gehe dreimal die Woche ins Fitnesscenter und lese gerne. Bei schönem Wetter fahre ich am Wochenende mit dem Hund aufs Land. Im Gegensatz zu dir führe ich also ein ganz normales Durchschnittsleben. Willst du sonst noch etwas wissen?«, fragte sie ihn vergnügt.
Würde er schon gerne, unser Schürzenjäger, aber er traute sich nicht zu fragen.
Allein, was gab es schon zu verlieren? Außerdem schrie eine solche Frage geradezu nach einer originellen Antwort.
»Ja, schon«, sagte er versonnen, »was machst du morgen Abend?«
»Mit dem Bruno spazieren gehen«, antwortete sie arglos, »wir können uns ja wieder hier treffen. Die Emily muss sicherlich auch raus.«
Blöd, daran hatte er nicht gedacht, ihr obligatorischer Abendspaziergang.
»Ich nehme an, dass du danach zu Abend isst«, versuchte es Vogel nochmals.
»Ja, aber am Abend esse ich nur eine Kleinigkeit, sonst schlafe ich schlecht. Außerdem gehe ich morgen nach dem Spaziergang ins Fitnesscenter.«
Entweder war sie wirklich so arglos, wie sie tat oder sie war unglaublich raffiniert. Hätte er die Wahl, würde er sich ohne Zögern für die zweite Möglichkeit entscheiden.
Inzwischen waren sie am bewohnten Teil des Josef-Afritsch-Heims angekommen. Überall hing frisch gewaschene Wäsche herum, was dieser verfallenen Siedlung eine unpassende Heiterkeit verlieh. Hinter den Gebäuden hörte man fröhliches Kindergeschrei.
»Fellini hätte es nicht besser arrangieren können. In ganz Wien gibt es wohl kaum einen skurrileren Ort … «, kommentierte Vogel die Szene.
»Ich habe aber gehört, dass die Stadt das alles abreißen und mit Luxuswohnungen vollbauen will«, entgegnete Michelle.
»Das wäre wirklich schade, aber leider ein Wiener Schicksal. Solche Orte werden immer seltener. Kannst du dich noch an den alten Messepalast erinnern, wo sich heute das Museumsquartier befindet? Das war Morbidezza in Reinkultur. Zwar haben wir jetzt dort eine Museenlandschaft, um die uns die ganze Welt beneidet, aber die verfallenden Gebäude aus den 50ern inmitten der barocken Stallungen, das hatte schon einen ganz speziellen Charme.«
»Das habe ich leider nicht mehr mitbekommen, Kajetan, ich glaube, damals war ich noch gar nicht auf der Welt … «, sagte Michelle lachend.
»Entschuldige bitte, aber so alt bin ich auch wieder nicht«, protestierte Vogel empört, »der Umbau zum Museumsquartier begann, soweit ich mich erinnere, so um das Jahr 1998, da warst du doch bestimmt auch schon 17 und damit hoffentlich schon wahrnehmungsfähig.«
Schelmisch sah sie ihn von der Seite an. »Ups, jetzt habe ich wohl einen wunden Punkt erwischt … Übrigens war ich 1998 gerade 16 Jahre alt und hatte weiß Gott andere Probleme als die Umwidmung des Messepalasts in ein Museumsquartier«, sagte sie, wobei sie ihm kameradschaftlich ihren Ellenbogen in die Rippen stieß.
Also doch: Lieber Onkel – eine Rolle, die Vogel ganz und gar nicht behagte.
So blieb er während des restlichen Spaziergangs eher einsilbig. Auch Michelle sagte, mit Ausnahme von gelegentlichen mit seltsam gequetschter Stimme hervorgebrachten Bemerkungen zu ihrem Hund, nicht viel.
Als sie zurück bei ihren Autos waren, küsste sie ihn kurzerhand auf den Mund und fragte: »Sehen wir uns morgen? Gleiche Zeit, gleicher Ort?«
»Ich versuch’s«, antwortete er verblüfft und beobachtete Michelle dabei, wie sie ihren Hund im Auto verstaute und dann mit einem kurzen Winken davonfuhr.
Daraus sollte einer schlau werden.
Vogel war schon längst zu Hause und überdachte die seltsame Begegnung, die ihn ausgesprochen ratlos machte, als Walz endlich Miwako Watanabe erreichte.
»Ich habe Sie schon mindestens zehnmal angerufen«, sagte er vorwurfsvoll, als sie um 20 Uhr endlich abhob, »wo haben Sie nur die ganze Zeit gesteckt?«
»Sie selbst haben doch gesagt, ich soll nicht ans Handy gehen«, erwiderte sie überrascht.
Darauf wusste Walz freilich keine Antwort.
»Wir hätten noch einige dringende Fragen an Sie, wann können wir uns sehen?«
»Wenn Sie wollen und es Ihnen nicht zu spät ist, heute Abend noch … Als Musikerin gehe ich niemals vor zwölf ins Bett.«
Walz hatte eigentlich überhaupt keine Lust, heute noch das Haus zu verlassen. Andererseits war es vielleicht ganz gut, wenn er allein mit ihr spräche, der polternde Vogel war bei einer trauernden Witwe nicht unbedingt eine hilfreiche Begleitung,
Weitere Kostenlose Bücher