Hausverbot
überschlug im Kopf den Gesamtpreis der Sachen, ging zum Telefonapparat, griff nach dem Hörer, wählte die Nummer von James und sagte: Bin zurück, komm rüber.
Wir hausten nicht mehr am Lerchenfeld. Wir wohnten jetzt in der Innenstadt in den runtergekommenen Studios der städtischen Sprinkenhof AG . Die hatte James ausfindig gemacht. Es war wie beim Vorwerkstift im Karolinenviertel: Auch in der Innenstadt standen viele leere Gebäude rum, die abgerissen werden sollten. Die Sprinkenhof vermietete gesamte Stockwerke für ’n Appel und ’n Ei. James riss sich eine dieser Etagen unter den Nagel und vermietete mir einen Teil davon unter. Inzwischen waren wir ein Pärchen, was mir überhaupt nicht in den Kram passte. Zum Glück hatte mein Studio einen eigenen Eingang, sonst hätte sich das ja so angefühlt, als würde ich mit James zusammenwohnen. Und davor graute es mir. Ich brauchte meine sexuelle Freiheit. Außerdem liebte ich immer noch Anton. Ich schaute auf die Alsterhausbeute. Sie war an diesem Tag besonders reich geworden. Ich klopfte mir auf die Schulter: Lola, heute bist du der King . Es klingelte an der Tür. Ich ließ James rein. Wie viel? , wollte er wissen. So um die siebenhundert, weil eine Flasche Champagner für einhundertdreißig Mark dabei ist. Wollen wir den gleich trinken?, fragte ich. Währenddessen entfernte ich das Silberpapier vom Champagnerflaschenhals. Es ist ein Champagner , äffte James die lustige Stimme aus dem Zeichentrickfilm ›Der Mann geht in den Krieg‹ nach, den wir mal zusammen in der Abspielstelle gesehen hatten. Ich versuchte weiterhin, die Champagnerflasche zu öffnen: Ich möchte mit Lebensmitteln auch mal auf ’nen Tausender kommen … James hörte mir nicht zu. Er holte gerade die Gläser aus seinem Studio. Als er zurückkam, stand ich mit der noch immer verschlossenen Flasche da und glotzte auf den Flaschenhals, der mir so komisch dünn vorkam. James nahm mir die Flasche aus den Händen: Gib her! Er zog den Korken mit den Zähnen raus. Der Champagner zischte nicht mal. Mist, der ist bestimmt umgekippt … Und ich kann ihn nicht mal reklamieren , sagte ich. James überprüfte das Etikett. Er suchte den Jahrgang oder wenigstens das Abfülldatum: Also Lola, das ist kein Champagner, das ist ein Cognac. ›Marc de Champagne‹ heißt ›Brand aus der Champagne‹. Ich war beeindruckt. James konnte Französisch. Das kam hin. Er hatte mir schon mal davon erzählt, wie er früher als Au-pair in Paris in einer Abstellkammer gelebt hatte. Ich fand das echt romantisch, weil es gewisse Parallelen zu meinem Schicksal hatte. James goss den Schnaps in die Gläser. Wir stießen an. Wir nahmen jeder einen Schluck. Wir verzogen die Gesichter. ›Marc de Champagne‹ schmeckte wie fermentiertes Pfützenwasser. Wir prusteten los vor Lachen. Dabei hatte ich mich auf den Champagner schon im Taxi gefreut. Mich dürstete richtig nach dem Zeug. Ich präparierte die vier Einkaufstaschen mit den Alibieinkäufen und machte mich noch einmal auf den Weg zum Alsterhaus. Nach einer Stunde kam ich wieder mit vollen Tüten zurück, und diesmal hatte ich einen echten Champagner dabei. Mein Diebesgut hatte einen Wert von knapp fünfhundert Mark. Hurra! Endlich war der Tag gekommen! Der Tausender war überschritten. In meiner Bude stapelten sich lauter Delikatessen. Ich rief alle möglichen Freunde an: Partytime!
Seit ich auf dem Alsterhaustrip war, versorgten wir uns nicht mehr wie normale Leute mit dem Zeug aus dem Supermarkt oder vom Gemüsetürken. Ich klaute alles im Alsterhaus, abgesehen von den Kleinigkeiten, die ich pro forma im Erdgeschoss regulär bezahlte, um im fünften Stock wie eine echte Eppendorferin mit Tüten daherzukommen. Nach der Party waren wieder alle Lebensmittel und Getränke weg. Ich schaute in die gähnende Leere meines Kühlschranks rein. Ich schaute in die gähnende Leere von James’ Kühlschrank rein. Ich bereitete mich mental auf den nächsten Raub vor. Ich hätte ja wie jeder anständige Mensch in einem Discounter gemütlich und ohne Adrenalin einkaufen können. Aber das ging nicht mehr. Ich fand das irgendwie spießig. Mein Verhalten stand unter der Abhängigkeit von den körpereigenen Botenstoffen, die ich im kleptomanischen Zustand ausschüttete. Analog produzierte James seine eigenen Hormone. Dies konstruierte unser Verhältnis. James sagte nie, ich solle mit dem Klauen aufhören. Im Gegenteil, er stiftete mich eher noch dazu an. Er ging auch nicht los, um selber
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